Mißverhältnis zwischen den mächtigen Schädeln und den verkümmerten Pranken hätte vor der Annahme antiken Ursprungs warnen sollen, wenn auch die großartige Einfachheit in der Stilisierung der zähnefletschenden Bestien an etruskische Bildungen denken läßt. Die Köpfe erheben sich an Wucht der Wirkung noch weit über die Baptisteriumsskulpturen, — sie gehören zu den eindruckvollsten Schöpfungen der romanischen Plastik in Florenz. An dem Turm der Amidei sind sie offenbar erst nachträglich angebracht worden. Sie haben zu der frühgotischen Architektur keinerlei Beziehungen. Es gibt außerdem kein weiteres Beispiel dafür in Florenz und in ganz Toskana, daß man derartige Köpfe an Qeschlechtertiirmen angebracht habe. Es ist nicht unmöglich, daß die Köpfe von dem alten, verschwundenen Stadttor — Porta S. Maria — stammen, von dem die Straße ihren Namen hat. Daß in romanischer Zeit toskanische Stadttore mit derartigen »Apotropaia« geschmückt wurden, dafür gibt das Löwentor des pisanischen Kastells zu Cagliari auf Sardinien den Beweis. Natürlich muß man sich die Köpfe anders angeordnet vorstellen. Sie müssen nach einwärts blicken (nicht nach auswärts, wie sie es jetzt tun), und somit jeden ins Auge fassen, der unter ihnen durch das Tor schreitet.
Die bisher ganz unbekannte inkrustierte Marmorkanzel von S. Giovanni Maggiore bei Borgo S. Lorenzo hat ein besonderes Interesse dadurch, daß sie auf sechseckigem Grundriß aufgebaut ist. Sie ist außer dem Pulpito von Fagna das einzige frühtoskanische Beispiel des polygonalen Kanzeltypus, den später Niccolö Pisano aufgriff und völlig ausbildete. Die prächtigen Inkrustationen der Brustwehrplatten — Vasen mit Fischen darin — finden ihre stilistischen Parallelen in S. Giovanni und in S. Miniato zu Florenz. Die Kanzel gehört, wie die zu Fagna, der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts an.
Durch seine Beziehungen zur Kunst Niccolö Pisanos gewinnt auch der Marmorkopf von S. Maria Maggiore eine über den Wert seiner Einzelexistenz hinausgehende Bedeutung. Er ist ein neuer Beweis für das Übergreifen der pisanischen Einflußsphäre nach Florenz gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Der monumentale Frauenkopf, dem die tiefen Falten, die sich von der (verstümmelten) Nase zum Munde ziehen, etwas Leidvoll- Schicksalsschweres verleihen, gilt als ein Porträt Bertas, der Tochter Karls des Großen. Mancherlei Legenden umspinnen ihn. Über seine Herkunft ist nichts Näheres zu ermitteln. Es kann wohl als sicher gelten, daß hier ein Hauptwerk jenes zuerst von Swarzenski charakterisierten Florentiner Bildhauerateliers vorliegt, das bis ins erste Viertel des 14.Jahrhunderts hinein auf den Errungenschaften Niccolö Pisanos fortbaute, und dessen bekannteste Schöpfungen die Reliefs der drei Marien am Grabe in S. Croce und des Drachentöters St. Georg an der Porta S. Giorgio sind.
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FORSCHUNGEN
Lionello Venturi schreibt im Märzheft des Bollettino d’Arte eine kleine Madonna, die sich ehemals in Santa Apollonia zu Velletri befand und jetzt im Kapitelsaal des Domes bewahrt wird, dem Gentile da Fabriano zu. Das kleine Werk zeigt in Typen und Anordnung eine unleugbare Verwandtschaft mit den gesicherten Arbeiten
dieses Malers, steht aber, wie es scheint, in der Qualität etwas unter ihnen. Es ist ferner so stark verdorben, daß einige Partien überhaupt in Wegfall kommen.
Das Januarheft der »Arte« enthält die Fortsetzung von G. Giovannonis Studien über römische Kirchen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ausgehend von San Spirito in Sassia und Santa Catharina de’ Funari, die er im ersten Teil seines Aufsatzes untersucht hat (vgl. Kunstchronik Nr. 24), will er nunmehr die Entwicklung der zweigeschossigen Fassade von etwa 1570—1590 verfolgen. Im vorliegenden Teil wird Santa Maria dell’ Orto behandelt. Durch eingehende stilkritische Analyse sucht Giovannoni den Beweis zu erbringen, daß die Fassade dieser Kirche auf Vignola zurückgehen muß; ihre Erbauung fällt nach den noch erhaltenen Urkunden in die Jahre 1566—69. — Zu dem rätselhaften Guidetto de’ Guidetti, dessen Signatur Giovannoni an der Fassade von Santa Catarina de Funari fand, bringt er jetzt einen kleinen Nachtrag. Guidetto scheint nämlich mit einem Maestro Guidi, Architekten des Kardinals Cesi, identisch zu sein, über den der Bevollmächtigte der Stadt Rieti in Rom 1561 an seine Stadtverwaltung berichtete. Im Anschluß hieran möchten wir auf eine andere Nachricht hinweisen, die sich ebenfalls auf diesen Architekten zu beziehen scheint. In Ubaldo Biccis »Notizia della famiglia Boccapaduli« (Rom 1762, p. 114,132) wird mitgeteilt, ein Architekt Guidetti habe 1563 übernommen, Michelangelos Pläne für die Ausgestaltung des Kapitolsplatzes auszuführen (vgl. auch Michaelis in Zeitschrift für bildende Kunst, 1891 p. 192). Jedoch scheint er zur Ausführung dieser Arbeit nicht gekommen zu sein; denn schon 1564 erhielten Boccapaduli und Tommaso de’ Cavalieri den Auftrag, jene Bauten zu Ende zu führen, was sie dann auch zum Teil taten. —
Einige neu entdeckte Werke Giambattista Pittonis in Florenz bildet Laura Coggiola Pittoni im Märzheft des Bolletino d’Arte ab. Durch die Bemühungen der Verfasserin des Artikels, der diese Abbildungen begleitet, wird das Werk Pittonis allmählich immer mehr erweitert. Wir konnten in den letzten Jahr^g schon mehrmals auf ihre Forschungen auf diesem Gebiete hinweisen. Jetzt sind zum Werke Pittonis hinzugekommen: vier ovale Bilder mit Geburt Christi, Darstellung im Tempel, Himmelfahrt Christi und Ausgießung des hl. Geistes, die sich zu je zweien im Besitz Carlo Loesers und Angiolo Cecconis in Florenz befinden und zwei kleine Bilder mit »Alexander und die Frau des Darius« und »Esther und Ahasver« im Besitz des Kunsthändlers Salvadori in Florenz.
In derselben Zeitschrift publiziert Giuseppe Fiocco einige Urkunden über Perino del Vagas Fresken in S. Marcello zu Rom, aus denen hervorgeht, daß sie in zwei Absätzen 1525—27 und 1540—43 gemalt wurden.
VERMISCHTES
Die Königliche Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig, die im Jahre 1914 ihr 150jähriges Jubiläum feiert, wird bei dieser Gelegenheit eine monumental angelegte Jubiläumsschrift herausgeben, an deren Gestaltung die besten Kräfte des blühenden Instituts emsig tätig sind. Sie wird gänzlich in der Akademie selbst hergestellt und ein würdiges Denkmal der deutschen Buchgewerbekunst der Gegenwart bilden.
Inhalt: Die Sommerausstellung der Berliner Sezession. — Oabriel v. Seidl f; Henriette Hertz f»— Personalien.— Heinedenkmal in Frankfurt a. M.— Ausstellungen in Oenf, Amsterdam, München. — König-AIbert-Museum in Chemnitz; Bayerische Staatsgalerien; Stadt. Museum in Stettin.— Kunsthistorisches Institut in Florenz. — Forschungen. — Vermischtes.
Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstraße 11a
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h., Leipzig