KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 26. 28. März 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE REMBRANDT-ZEICHNUNGEN DER SAMMLUNG HESELTINE UND C. HOFSTEDE DE GROOT
Von W. v. Seidlitz
Am 27. Mai werden bei Frederik Müller & Co. in Amsterdam 33 Rembrandt-Zeichnungen aus der berühmten Sammlung Heseltine zur Versteigerung gelangen. Zum ersten Male wird sich dabei die ungeheure Preissteigerung, welche seit zehn Jahren für alle Kunstwerke eingetreten ist, auch in bezug auf die Zeichnungen Rembrandts zeigen. Die Käufer werden unter solchen Umständen allen Grund haben, mit besonderer Sorgfalt zwischen echten Zeichnungen Rembrandts und solchen, die ihm ohne hinreichenden Grund zugeschrieben werden, zu unterscheiden. Solange sich die Preise in den Hunderten bewegten, kam es nicht so sehr darauf an, ob man sein Geld für ein mehr oder weniger sicheres Blatt ausgab; bei Tausenden aber liegt die Sache ganz anders. Die Verkäufer ihrerseits werden einen Trost für etwaige Einbuße darin zu finden haben, daß die wirklich echten Blätter um so mehr einbringen werden.
Welche von den 77 Rembrandt-Zeichnungen der Sammlung Heseltine in Amsterdam zu Versteigerung gelangen werden, wird erst der Katalog zeigen. Aus dem vorläufigen illustrierten Prospekt aber sieht man bereits, daß es sich dabei nicht bloß um unzweifelhaft echte Zeichnungen Rembrandts handeln wird. Unter den sieben Blättern, die er abbildet, sind nur drei unzweifelhaft echt (das Selbstbildnis in ganzer Figur, H. 994 der Weg am Kanal, H. 1051, und die Frau am Fenster, H. 1011). Die Ansicht der Mühlen Amsterdams, H. 1039 ist an sich eine ausgezeichnete Zeichnung, hat aber mit Rembrandt gar nichts zu tun, sondern trägt seinen Namen ebenso wie eine andere Zeichnung derselben Hand im Britischen Museum wohl nur wegen ihrer hervorragenden Schönheit; wobei vergessen wird, daß Rembrandt nicht der einzige große Landschafter Hollands war. Der »Wittwer«, H. 1013 stammt von irgendwelchem guten Genremaler der Zeit; die alte Frau, H. 999 weicht durch die Zusammenhangslosigkeit der Darstellung wie die allzu bildmäßige Anordnung von Rembrandts Weise ab; der weibliche Akt, H. 1032 endlich ist eine jener zahlreichen Studien, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angefertigt wurden, in der Zeichnung der Arme bereits etwas akademisch, in den Beinen unzulänglich.
Alle diese Zeichnungen kommen freilich aus alten
1) Nummern des Verzeichnisses von C. Hofstede de Oroot »Die Handzeichnungen Rembrandts«, Haarlem 1906.
berühmten Sammlungen, sind darauf hin von Heseltine sicherlich im Glauben an ihre Echtheit erworben worden, und stehen bei Lippmann wie bei Hofstede de Groot unter den echten Blättern verzeichnet.
Die Anschauungen von ehemals haben sich aber unterdessen wesentlich geändert; man steht nicht mehr so gutgläubig wie früher den alten Benennungen gegenüber, denn unsere Kenntnis von Rembrandts Kunst hat sich dank den Veröffentlichungen der Zeichnungen durch Lippmann und Hofstede de Groot, der Gemälde durch Bode wesentlich vertieft und erweitert. Jetzt beruhigt man sich nicht mehr bei einem allgemeinen und ungefähren Begriff von seinem Wesen, sondern fordert dessen scharfe Erfassung unter Berücksichtigung der verschiedenen Wandlungen seines Stils.
Da es eine solchen gesteigerten Ansprüchen genügende Bearbeitung der Zeichnungen Rembrandts noch nicht gibt, das genannte Verzeichnis von Hofstede de Groot, das man allein zu Rate ziehen kann, aber noch auf dem veralteten Standpunkt steht, so macht sich eine Erörterung der Gründe nötig, woher die Wissenschaft in diesem Fall den Bedürfnissen des Lebens — wie solche bei Gelegenheit einer Versteigerung wie der bevorstehenden zutage treten — noch nicht zu entsprechen in der Lage ist.
Lippmann und Hofstede de Groot hatten in den ersten sechs Bänden ihrer Veröffentlichung über Rembrandts Zeichnungen 47 der Heseltinschen Blätter gebracht, offenbar die besten der Sammlung; davon ist nur etwa die Hälfte unbedingt echt, während 14 unsicher und 11 nicht von Rembrandt sind, wie ich in meiner Anzeige des Werkes seinerzeit ausgeführt habe1).
Hofstede de Groot hat, weil er von einem ganz anderen Standpunkt ausgeht, von dieser Kritik in seinem Verzeichnis keinerlei Notiz genommen; nicht einmal bei dem angeblichen Hauptblatt der Sammlung, der Anbetung der Hirten, H. 988, die nach der zerrissenen und unsicheren Strichführung nur eine Kopie nach dem Gemälde der Londoner National Gallery sein kann, dem Vernehmen nach übrigens auf der Amsterdamer Versteigerung nicht erscheinen wird.
Nach der Einleitung seines Verzeichnisses erstrebt Hofstede de Groot auch etwas ganz anderes als ein wirklich kritisches Verzeichnis der Zeichnungen Rembrandts: er will nur eine Kodifizierung der sämtlichen mit mehr oder weniger Recht unter Rembrandts Namen gehenden Zeichnungen bieten, um »für Diskussionen (über die Echtheits
1) Im Repertorium für Kunstwissenschaft 1894 (S. 116),
1900 (S. 488), 1902 (S. 136).
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 26. 28. März 1913
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DIE REMBRANDT-ZEICHNUNGEN DER SAMMLUNG HESELTINE UND C. HOFSTEDE DE GROOT
Von W. v. Seidlitz
Am 27. Mai werden bei Frederik Müller & Co. in Amsterdam 33 Rembrandt-Zeichnungen aus der berühmten Sammlung Heseltine zur Versteigerung gelangen. Zum ersten Male wird sich dabei die ungeheure Preissteigerung, welche seit zehn Jahren für alle Kunstwerke eingetreten ist, auch in bezug auf die Zeichnungen Rembrandts zeigen. Die Käufer werden unter solchen Umständen allen Grund haben, mit besonderer Sorgfalt zwischen echten Zeichnungen Rembrandts und solchen, die ihm ohne hinreichenden Grund zugeschrieben werden, zu unterscheiden. Solange sich die Preise in den Hunderten bewegten, kam es nicht so sehr darauf an, ob man sein Geld für ein mehr oder weniger sicheres Blatt ausgab; bei Tausenden aber liegt die Sache ganz anders. Die Verkäufer ihrerseits werden einen Trost für etwaige Einbuße darin zu finden haben, daß die wirklich echten Blätter um so mehr einbringen werden.
Welche von den 77 Rembrandt-Zeichnungen der Sammlung Heseltine in Amsterdam zu Versteigerung gelangen werden, wird erst der Katalog zeigen. Aus dem vorläufigen illustrierten Prospekt aber sieht man bereits, daß es sich dabei nicht bloß um unzweifelhaft echte Zeichnungen Rembrandts handeln wird. Unter den sieben Blättern, die er abbildet, sind nur drei unzweifelhaft echt (das Selbstbildnis in ganzer Figur, H. 994 der Weg am Kanal, H. 1051, und die Frau am Fenster, H. 1011). Die Ansicht der Mühlen Amsterdams, H. 1039 ist an sich eine ausgezeichnete Zeichnung, hat aber mit Rembrandt gar nichts zu tun, sondern trägt seinen Namen ebenso wie eine andere Zeichnung derselben Hand im Britischen Museum wohl nur wegen ihrer hervorragenden Schönheit; wobei vergessen wird, daß Rembrandt nicht der einzige große Landschafter Hollands war. Der »Wittwer«, H. 1013 stammt von irgendwelchem guten Genremaler der Zeit; die alte Frau, H. 999 weicht durch die Zusammenhangslosigkeit der Darstellung wie die allzu bildmäßige Anordnung von Rembrandts Weise ab; der weibliche Akt, H. 1032 endlich ist eine jener zahlreichen Studien, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angefertigt wurden, in der Zeichnung der Arme bereits etwas akademisch, in den Beinen unzulänglich.
Alle diese Zeichnungen kommen freilich aus alten
1) Nummern des Verzeichnisses von C. Hofstede de Oroot »Die Handzeichnungen Rembrandts«, Haarlem 1906.
berühmten Sammlungen, sind darauf hin von Heseltine sicherlich im Glauben an ihre Echtheit erworben worden, und stehen bei Lippmann wie bei Hofstede de Groot unter den echten Blättern verzeichnet.
Die Anschauungen von ehemals haben sich aber unterdessen wesentlich geändert; man steht nicht mehr so gutgläubig wie früher den alten Benennungen gegenüber, denn unsere Kenntnis von Rembrandts Kunst hat sich dank den Veröffentlichungen der Zeichnungen durch Lippmann und Hofstede de Groot, der Gemälde durch Bode wesentlich vertieft und erweitert. Jetzt beruhigt man sich nicht mehr bei einem allgemeinen und ungefähren Begriff von seinem Wesen, sondern fordert dessen scharfe Erfassung unter Berücksichtigung der verschiedenen Wandlungen seines Stils.
Da es eine solchen gesteigerten Ansprüchen genügende Bearbeitung der Zeichnungen Rembrandts noch nicht gibt, das genannte Verzeichnis von Hofstede de Groot, das man allein zu Rate ziehen kann, aber noch auf dem veralteten Standpunkt steht, so macht sich eine Erörterung der Gründe nötig, woher die Wissenschaft in diesem Fall den Bedürfnissen des Lebens — wie solche bei Gelegenheit einer Versteigerung wie der bevorstehenden zutage treten — noch nicht zu entsprechen in der Lage ist.
Lippmann und Hofstede de Groot hatten in den ersten sechs Bänden ihrer Veröffentlichung über Rembrandts Zeichnungen 47 der Heseltinschen Blätter gebracht, offenbar die besten der Sammlung; davon ist nur etwa die Hälfte unbedingt echt, während 14 unsicher und 11 nicht von Rembrandt sind, wie ich in meiner Anzeige des Werkes seinerzeit ausgeführt habe1).
Hofstede de Groot hat, weil er von einem ganz anderen Standpunkt ausgeht, von dieser Kritik in seinem Verzeichnis keinerlei Notiz genommen; nicht einmal bei dem angeblichen Hauptblatt der Sammlung, der Anbetung der Hirten, H. 988, die nach der zerrissenen und unsicheren Strichführung nur eine Kopie nach dem Gemälde der Londoner National Gallery sein kann, dem Vernehmen nach übrigens auf der Amsterdamer Versteigerung nicht erscheinen wird.
Nach der Einleitung seines Verzeichnisses erstrebt Hofstede de Groot auch etwas ganz anderes als ein wirklich kritisches Verzeichnis der Zeichnungen Rembrandts: er will nur eine Kodifizierung der sämtlichen mit mehr oder weniger Recht unter Rembrandts Namen gehenden Zeichnungen bieten, um »für Diskussionen (über die Echtheits
1) Im Repertorium für Kunstwissenschaft 1894 (S. 116),
1900 (S. 488), 1902 (S. 136).