KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 34. 23. Mai 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
ANDREAS ÄUßERT
(Geboren zu Christiania 28. Januar 1851,
gestorben daselbst 9. Mai 1913)
Als Andreas Aubert im Jahre 1911 seinen sechzigsten Geburtstag beging, da bewies die rege und warme Teilnahme weiter Kreise seiner Landesgenossen an der Feier, daß die norwegische Kulturwelt zu schätzen wußte, was sie an dem Manne besaß, der, ohne eine andere amtliche Stellung, als die eines Mitgliedes der Akademie der Wissenschaften, einzunehmen, doch unbestritten in der wissenschaftlichen Welt als der namhafteste Vertreter kunstgeschichtlicher Forschung in Norwegen geachtet wurde. Dies kam, als Aubert im Jahre darauf an dem kunsthistorischen Kongresse zu Rom teilnahm, darin zum ehrenvollen Ausdrucke, daß ihm als einem der Präsidenten die Leitung der Verhandlungen anvertraut wurde. Von den Anregungen des Kongresses, vom Wiedersehen mit der ewigen Stadt und ihren Kunstdenkmälern erfrischt kehrte der seit einiger Zeit leidende Mann nach seiner nordischen Heimat zurück, um sein opus magnum, um jene Biographie Kaspar David Friedrichs zu vollenden, zu der er seit Jahren mit unendlicher Mühe und Liebe das Material gesammelt hatte. Er war seinem geliebten Helden in die pommersche Heimat, nach Dresden, in die schlesischen Berge nachgereist; er hatte seinen von dem Erben des Künstlers ihm anvertrauten literarischen Nachlaß vollkommen durchgearbeitet und hatte sorgsam den Wegen und Schicksalen seiner Freunde nachgespürt— Studien, von denen er manche hübsche Einzelheiten in Zeitschriften bekannt gegeben hat. Er hatte sich von Friedrichs Schaffen die genaueste Kenntnis erworben, verschollene Arbeiten des Meisters wieder entdeckt, die schwierige Chronologie in Ordnung gebracht — kurz: »Das Fest ist bereitet, es warten die Zeugen«. Da rief ihn der unerbittliche Tod von dem Werke ab, das nun verwaist nach ihm bleibt.
Eine Friedrich-Biographie wird ja schon einmal ein anderer schreiben, allein, welche Vorzüge dies künftige Werk auch haben mag, daß ein zweiter Forscher je wieder in so tiefer und inniger Seelenverwandtschaft und -gemeinschaft zu dem Landschaftsmaler der deutschen Romantik stehen wird, wie Andreas Aubert, das ist nach menschlichem Ermessen bis zur Unmöglichkeit unwahrscheinlich. Seine zarte, innige, schwärmerische, ahnungsreiche Natur, seine im schönsten Sinne romantische Natur fand sich beglückt in Friedrichs Kunst wieder. Er gehörte nicht zu jenen Forschern, die die Kunstschöpfungen und die Kunstgeschichte präparieren, wie ein chemisches Produkt. Er mußte lieben, um fruchtbar forschen zu können, und wie alle guten Bücher, so sind auch die seinigen
Bekenntnisse. Seine wissenschaftliche Arbeit wurzelte in einem schönen Giücksgefühle über die Gaben und Wirkungen der Kunst. Umfaßte seine Liebe auch nicht alle Zeiten und Persönlichkeiten der Kunstgeschichte (der Typus Rubens z. B. stand ihm recht fern), so war sie doch vielfältig und ausgebreitet. Er liebte die Primitiven: Cimabue, dem er ein bekanntes Hauptwerk gewidmet hat, Fra Angelico, Pinturicchio, die er in feinen Einzelstudien behandelt hat. Ein anderes Interessen- und Studiengebiet Auberts war die moderne Kunst. Millet bewunderte er, den Impressionismus ehrte er wegen seiner künstlerischen Ehrlichkeit, weil er, wie er sich auszudrücken liebte, »die Palette gereinigt habe«. Aber, von der großen Arbeit über Cimabue abgesehen, waren die hier berührten Veröffentlichungen alle nur Nebenfrüchte seiner Studien. So recht in ihrem Mittelpunkte aber steht sein 1893/4 herausgegebenes Buch über »Professor Dahl«, wie man in Norwegen Johann Christian Dahl, den Vater selbständiger norwegischer Malerei zu nennen pflegt. In diesem Buche, das eine deutsche Ausgabe wohl verdiente, treten seine trefflichen Gaben und Eigenschaften voll zutage: Wärme für den Gegenstand, echt vaterländisches Empfinden bei freiem, weitem Kulturhorizonte, ein starker Sinn für historische Psychologie, ein Drang, Menschen und Dinge in der Tiefe ihres Seins zu erfassen und die Kunst als eine Kraft des Lebens darzustellen. Dazu eine bis zur Peinlichkeit gehende Delikatesse der Forschung, die an seinem Cimabue auch die achtungsvoll anerkannt haben, die mit den Ergebnissen des Buches nicht einverstanden waren, und ein tiefes natürliches Kunstgefühl. Daß das Kunstwerk nur künstlerisch erfaßt werden könne, war eine seiner Hauptmaximen; er selbst hatte einmal daran gedacht, sich der Malerei zu widmen, und eine ganze echte Künstlerseele war und blieb er, auch ohne den Pinsel zu handhaben.
Dahl war es, der ihn auf die deutsche Romantik führte. Das 1909 erschienene Buch über Runge war als eine Vorstudie zu dem großen Friedrich-Werke gedacht; es ist aus dem sensibelsten, feinsten Verständnisse für den Hamburger Meister geschrieben. Gewisse Partien der deutschen Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts stellten sich dank Auberts Forschungen in verändertem, berichtigtem Grundrisse dar: von Dahl führte die Linie zu Blechen, wie Kern in seinem Buche über Blechen auf Grund der Forschungen Auberts richtig hervorgehoben hat. So tief lebte Aubert sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte in die Geschichte der neueren deutschen Kunst und Kultur ein, daß wir ihn mit Fug und Recht zu den Unsrigen rechnen durften, und sicherlich hat Deutschland im ganzen skandinavischen Norden keinen aufrichtigeren,
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 34. 23. Mai 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
ANDREAS ÄUßERT
(Geboren zu Christiania 28. Januar 1851,
gestorben daselbst 9. Mai 1913)
Als Andreas Aubert im Jahre 1911 seinen sechzigsten Geburtstag beging, da bewies die rege und warme Teilnahme weiter Kreise seiner Landesgenossen an der Feier, daß die norwegische Kulturwelt zu schätzen wußte, was sie an dem Manne besaß, der, ohne eine andere amtliche Stellung, als die eines Mitgliedes der Akademie der Wissenschaften, einzunehmen, doch unbestritten in der wissenschaftlichen Welt als der namhafteste Vertreter kunstgeschichtlicher Forschung in Norwegen geachtet wurde. Dies kam, als Aubert im Jahre darauf an dem kunsthistorischen Kongresse zu Rom teilnahm, darin zum ehrenvollen Ausdrucke, daß ihm als einem der Präsidenten die Leitung der Verhandlungen anvertraut wurde. Von den Anregungen des Kongresses, vom Wiedersehen mit der ewigen Stadt und ihren Kunstdenkmälern erfrischt kehrte der seit einiger Zeit leidende Mann nach seiner nordischen Heimat zurück, um sein opus magnum, um jene Biographie Kaspar David Friedrichs zu vollenden, zu der er seit Jahren mit unendlicher Mühe und Liebe das Material gesammelt hatte. Er war seinem geliebten Helden in die pommersche Heimat, nach Dresden, in die schlesischen Berge nachgereist; er hatte seinen von dem Erben des Künstlers ihm anvertrauten literarischen Nachlaß vollkommen durchgearbeitet und hatte sorgsam den Wegen und Schicksalen seiner Freunde nachgespürt— Studien, von denen er manche hübsche Einzelheiten in Zeitschriften bekannt gegeben hat. Er hatte sich von Friedrichs Schaffen die genaueste Kenntnis erworben, verschollene Arbeiten des Meisters wieder entdeckt, die schwierige Chronologie in Ordnung gebracht — kurz: »Das Fest ist bereitet, es warten die Zeugen«. Da rief ihn der unerbittliche Tod von dem Werke ab, das nun verwaist nach ihm bleibt.
Eine Friedrich-Biographie wird ja schon einmal ein anderer schreiben, allein, welche Vorzüge dies künftige Werk auch haben mag, daß ein zweiter Forscher je wieder in so tiefer und inniger Seelenverwandtschaft und -gemeinschaft zu dem Landschaftsmaler der deutschen Romantik stehen wird, wie Andreas Aubert, das ist nach menschlichem Ermessen bis zur Unmöglichkeit unwahrscheinlich. Seine zarte, innige, schwärmerische, ahnungsreiche Natur, seine im schönsten Sinne romantische Natur fand sich beglückt in Friedrichs Kunst wieder. Er gehörte nicht zu jenen Forschern, die die Kunstschöpfungen und die Kunstgeschichte präparieren, wie ein chemisches Produkt. Er mußte lieben, um fruchtbar forschen zu können, und wie alle guten Bücher, so sind auch die seinigen
Bekenntnisse. Seine wissenschaftliche Arbeit wurzelte in einem schönen Giücksgefühle über die Gaben und Wirkungen der Kunst. Umfaßte seine Liebe auch nicht alle Zeiten und Persönlichkeiten der Kunstgeschichte (der Typus Rubens z. B. stand ihm recht fern), so war sie doch vielfältig und ausgebreitet. Er liebte die Primitiven: Cimabue, dem er ein bekanntes Hauptwerk gewidmet hat, Fra Angelico, Pinturicchio, die er in feinen Einzelstudien behandelt hat. Ein anderes Interessen- und Studiengebiet Auberts war die moderne Kunst. Millet bewunderte er, den Impressionismus ehrte er wegen seiner künstlerischen Ehrlichkeit, weil er, wie er sich auszudrücken liebte, »die Palette gereinigt habe«. Aber, von der großen Arbeit über Cimabue abgesehen, waren die hier berührten Veröffentlichungen alle nur Nebenfrüchte seiner Studien. So recht in ihrem Mittelpunkte aber steht sein 1893/4 herausgegebenes Buch über »Professor Dahl«, wie man in Norwegen Johann Christian Dahl, den Vater selbständiger norwegischer Malerei zu nennen pflegt. In diesem Buche, das eine deutsche Ausgabe wohl verdiente, treten seine trefflichen Gaben und Eigenschaften voll zutage: Wärme für den Gegenstand, echt vaterländisches Empfinden bei freiem, weitem Kulturhorizonte, ein starker Sinn für historische Psychologie, ein Drang, Menschen und Dinge in der Tiefe ihres Seins zu erfassen und die Kunst als eine Kraft des Lebens darzustellen. Dazu eine bis zur Peinlichkeit gehende Delikatesse der Forschung, die an seinem Cimabue auch die achtungsvoll anerkannt haben, die mit den Ergebnissen des Buches nicht einverstanden waren, und ein tiefes natürliches Kunstgefühl. Daß das Kunstwerk nur künstlerisch erfaßt werden könne, war eine seiner Hauptmaximen; er selbst hatte einmal daran gedacht, sich der Malerei zu widmen, und eine ganze echte Künstlerseele war und blieb er, auch ohne den Pinsel zu handhaben.
Dahl war es, der ihn auf die deutsche Romantik führte. Das 1909 erschienene Buch über Runge war als eine Vorstudie zu dem großen Friedrich-Werke gedacht; es ist aus dem sensibelsten, feinsten Verständnisse für den Hamburger Meister geschrieben. Gewisse Partien der deutschen Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts stellten sich dank Auberts Forschungen in verändertem, berichtigtem Grundrisse dar: von Dahl führte die Linie zu Blechen, wie Kern in seinem Buche über Blechen auf Grund der Forschungen Auberts richtig hervorgehoben hat. So tief lebte Aubert sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte in die Geschichte der neueren deutschen Kunst und Kultur ein, daß wir ihn mit Fug und Recht zu den Unsrigen rechnen durften, und sicherlich hat Deutschland im ganzen skandinavischen Norden keinen aufrichtigeren,