KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 35. 30. Mai 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE BERLINER JUBILÄUMS
KUNSTAUSSTELLUNG
Es ist die dritte Jubiläumsausstellung, die in Berlin Akademie und Künstlerverein im »Landesausstellungsgebäude« am Lehrter Bahnhof veranstaltet haben, seitdem sie den Moabiter Glaspalast bezogen. Die erste fand 1886 statt, eben in dem Jahre, da die bis dahin bescheidene Berliner Sommerausstellung aus den Baracken des Kantianplatzes (dem Gelände des heutigen Kaiser-Friedrich-Museums) nach Moabit übersiedelte und zugleich ihr hundertjähriges Jubiläum feierte — denn die erste Kunstausstellung zu Berlin wurde im Sommer 1786, wenige Wochen vor dem Tode Friedrichs des Großen, eröffnet. Damals, 1886, war die Kunstschau am Lehrter Bahnhof ein großes Ereignis, das seinen Höhepunkt in der Anwesenheit Böcklins fand, der sich hier zum ersten Male mit einer größeren Anzahl seiner Werke »offiziell« in Berlin präsentierte und als Gast erschien, um von der jüngeren Künstlergeneration mit Jubel empfangen zu werden. Das zweite Jubiläumsfest ward 1896 arrangiert, zur Vierteljahrhundertfeier des Deutschen Reiches, mit der man zugleich das kurz voraufgegangene zweihundertjährige Jubiläum der Akademie der Künste beging. Es war, ebenso wie 1886, eine internationale Veranstaltung, die durch die Säle der fremden Völker besonders interessierte. Noch hatte sich das deutsche Kunstgetriebe nicht in zwei Lager gespalten, aber es lag schon Konfliktstoff in der Luft; in München hatte sich drei Jahre vorher die Sezession gebildet, und bald sollte Berlin nachfolgen. Immerhin war es noch möglich, fast die gesamte deutsche Produktion unter einen Hut zu bringen.
Bei der jetzigen dritten Jubiläumsausstellung, deren Anlaß das silberne Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms II. bildet, und deren feierliche Eröffnung am 10. Mai ein Vorspiel zu den Festlichkeiten des Juni darstellen sollte, empfanden die leitenden Persönlichkeiten vor allem die große Schwierigkeit, in ähnlicher Weise wie früher einen Überblick über das gesamte Schaffen der deutschen Künstlerschaft zu geben, der diesen Namen verdiente. In diesen siebzehn Zwischenjahren hat sich in Berlin wie in Deutschland überhaupt nicht weniger als alles geändert, die Verhältnisse haben sich vollkommen verschoben, der Schwerpunkt der Entwicklung wie der Leistungen ward längst in die allenthalben erblühten, im Deutschen Künstlerbunde geeinten Sezessionen verlegt. Es lag nahe, zur Ermöglichung einer würdigen mise-en-scene die starke künstlerische Linke heranzuziehen und damit überdies dem Kaiser, der seit einem Vierteljahrhundert als ein Friedensfürst gewaltet hat, zur Jubiläumsgabe das
Friedenswerk einer Versöhnung zwischen den gegnerischen Künstlerparteien darzubringen. Damit gewann man zudem einen Weg, die Rückschau über das Schaffen der letzten fünfundzwanzig Jahre, die sich von selbst als Programmpunkt ergab, einigermaßen vollständig zu halten. So riskierte man denn in Moabit den prinzipiell ungemein wichtigen Schritt: man forderte die Sezessionen zur Beteiligung an der Ausstellung und namentlich an ihrer retrospektiven Abteilung auf.
Die Eingeladenen werden sonderbare Gesichter gemacht haben, als diese Friedensschalmei ertönte. Sie haben gewiß darüber gelächelt, daß die offizielle preußische Kunstwelt, von der sie sonst Pestkranken gleich gemieden werden, sich ihrer jetzt so liebevoll erinnerte, da sie darum besorgt war, mit ihrem Jubiläumsunternehmen in Ehren zu bestehen. Immerhin jedoch lag darin eine unverhohlene Anerkennung, und an der Ehrlichkeit der Friedensabsichten war schon darum nicht zu zweifeln, weil ihr Wortführer der Ausstellungspräsident Friedrich Kallmorgen war, dessen persönliche Lauterkeit und Redlichkeit über alle Zweifel erhaben sind. Trotzdem lehnten die Geladenen ab, wobei die Berliner Sezession als die natürliche Führerin figurierte. Das geschah nicht eben mit der wünschenswerten Klarheit, und gerade die Berliner Sezessionisten, die eine über die Vorschläge Kallmorgens weit hinausgehende Beteiligung am Gesamtunternehmen der Großen Kunstausstellung verlangten und, als diese Forderung nicht erfüllt werden konnte, sich für »ausgeschlossen« erklärten, haben den Tatbestand dadurch verwirrt. Denn in Wahrheit wollten die Sezessionen unter den in Berlin herrschenden Verhältnissen sich nicht beteiligen — ein Standpunkt, der durchaus begreiflich erscheint. Man hat sich an die unglaublichen und sinnlosen Zustände schon so sehr gewöhnt, daß man sich fast nicht mehr über sie aufzuregen vermag. Rechnet man aber einmal zusammen, wasvondenamtlichenKunstinstanzen Preußens wie des Reichs ununterbrochen gegen die moderne Kunst gesündigt wird, so wird man aufs neue empört. Daß in Berlin Männer wie Slevogt und Corinth nicht einmal zur Akademie gehören, daß Corinth nicht einmal — es ist gewiß gleichgültig, aber doch sehr charakteristisch — den Professortitel führt, daß die staatlichen Ankaufskommissionen nicht nur um die Sezession einen weiten Bogen machen, sondern auch die Erwerbung von Werken ihrer einzelnen Mitglieder mit den eigentümlichsten Kautelen behängen, das sind nur ein paar Beispiele, die sich leicht vermehren ließen. Man kann es dem Künstlerbunde nicht verdenken, daß er angesichts solcher Boykottmaßnahmen, seiner Kraft wohl bewußt, nicht auf den
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 35. 30. Mai 1913
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DIE BERLINER JUBILÄUMS
KUNSTAUSSTELLUNG
Es ist die dritte Jubiläumsausstellung, die in Berlin Akademie und Künstlerverein im »Landesausstellungsgebäude« am Lehrter Bahnhof veranstaltet haben, seitdem sie den Moabiter Glaspalast bezogen. Die erste fand 1886 statt, eben in dem Jahre, da die bis dahin bescheidene Berliner Sommerausstellung aus den Baracken des Kantianplatzes (dem Gelände des heutigen Kaiser-Friedrich-Museums) nach Moabit übersiedelte und zugleich ihr hundertjähriges Jubiläum feierte — denn die erste Kunstausstellung zu Berlin wurde im Sommer 1786, wenige Wochen vor dem Tode Friedrichs des Großen, eröffnet. Damals, 1886, war die Kunstschau am Lehrter Bahnhof ein großes Ereignis, das seinen Höhepunkt in der Anwesenheit Böcklins fand, der sich hier zum ersten Male mit einer größeren Anzahl seiner Werke »offiziell« in Berlin präsentierte und als Gast erschien, um von der jüngeren Künstlergeneration mit Jubel empfangen zu werden. Das zweite Jubiläumsfest ward 1896 arrangiert, zur Vierteljahrhundertfeier des Deutschen Reiches, mit der man zugleich das kurz voraufgegangene zweihundertjährige Jubiläum der Akademie der Künste beging. Es war, ebenso wie 1886, eine internationale Veranstaltung, die durch die Säle der fremden Völker besonders interessierte. Noch hatte sich das deutsche Kunstgetriebe nicht in zwei Lager gespalten, aber es lag schon Konfliktstoff in der Luft; in München hatte sich drei Jahre vorher die Sezession gebildet, und bald sollte Berlin nachfolgen. Immerhin war es noch möglich, fast die gesamte deutsche Produktion unter einen Hut zu bringen.
Bei der jetzigen dritten Jubiläumsausstellung, deren Anlaß das silberne Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms II. bildet, und deren feierliche Eröffnung am 10. Mai ein Vorspiel zu den Festlichkeiten des Juni darstellen sollte, empfanden die leitenden Persönlichkeiten vor allem die große Schwierigkeit, in ähnlicher Weise wie früher einen Überblick über das gesamte Schaffen der deutschen Künstlerschaft zu geben, der diesen Namen verdiente. In diesen siebzehn Zwischenjahren hat sich in Berlin wie in Deutschland überhaupt nicht weniger als alles geändert, die Verhältnisse haben sich vollkommen verschoben, der Schwerpunkt der Entwicklung wie der Leistungen ward längst in die allenthalben erblühten, im Deutschen Künstlerbunde geeinten Sezessionen verlegt. Es lag nahe, zur Ermöglichung einer würdigen mise-en-scene die starke künstlerische Linke heranzuziehen und damit überdies dem Kaiser, der seit einem Vierteljahrhundert als ein Friedensfürst gewaltet hat, zur Jubiläumsgabe das
Friedenswerk einer Versöhnung zwischen den gegnerischen Künstlerparteien darzubringen. Damit gewann man zudem einen Weg, die Rückschau über das Schaffen der letzten fünfundzwanzig Jahre, die sich von selbst als Programmpunkt ergab, einigermaßen vollständig zu halten. So riskierte man denn in Moabit den prinzipiell ungemein wichtigen Schritt: man forderte die Sezessionen zur Beteiligung an der Ausstellung und namentlich an ihrer retrospektiven Abteilung auf.
Die Eingeladenen werden sonderbare Gesichter gemacht haben, als diese Friedensschalmei ertönte. Sie haben gewiß darüber gelächelt, daß die offizielle preußische Kunstwelt, von der sie sonst Pestkranken gleich gemieden werden, sich ihrer jetzt so liebevoll erinnerte, da sie darum besorgt war, mit ihrem Jubiläumsunternehmen in Ehren zu bestehen. Immerhin jedoch lag darin eine unverhohlene Anerkennung, und an der Ehrlichkeit der Friedensabsichten war schon darum nicht zu zweifeln, weil ihr Wortführer der Ausstellungspräsident Friedrich Kallmorgen war, dessen persönliche Lauterkeit und Redlichkeit über alle Zweifel erhaben sind. Trotzdem lehnten die Geladenen ab, wobei die Berliner Sezession als die natürliche Führerin figurierte. Das geschah nicht eben mit der wünschenswerten Klarheit, und gerade die Berliner Sezessionisten, die eine über die Vorschläge Kallmorgens weit hinausgehende Beteiligung am Gesamtunternehmen der Großen Kunstausstellung verlangten und, als diese Forderung nicht erfüllt werden konnte, sich für »ausgeschlossen« erklärten, haben den Tatbestand dadurch verwirrt. Denn in Wahrheit wollten die Sezessionen unter den in Berlin herrschenden Verhältnissen sich nicht beteiligen — ein Standpunkt, der durchaus begreiflich erscheint. Man hat sich an die unglaublichen und sinnlosen Zustände schon so sehr gewöhnt, daß man sich fast nicht mehr über sie aufzuregen vermag. Rechnet man aber einmal zusammen, wasvondenamtlichenKunstinstanzen Preußens wie des Reichs ununterbrochen gegen die moderne Kunst gesündigt wird, so wird man aufs neue empört. Daß in Berlin Männer wie Slevogt und Corinth nicht einmal zur Akademie gehören, daß Corinth nicht einmal — es ist gewiß gleichgültig, aber doch sehr charakteristisch — den Professortitel führt, daß die staatlichen Ankaufskommissionen nicht nur um die Sezession einen weiten Bogen machen, sondern auch die Erwerbung von Werken ihrer einzelnen Mitglieder mit den eigentümlichsten Kautelen behängen, das sind nur ein paar Beispiele, die sich leicht vermehren ließen. Man kann es dem Künstlerbunde nicht verdenken, daß er angesichts solcher Boykottmaßnahmen, seiner Kraft wohl bewußt, nicht auf den