KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 36. 6. Juni 1913
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DIE GROSSE KUNSTAUSSTELLUNG
STUTTGART 1913
Nicht nur für die schwäbische Residenz, sondern auch für die gesamte deutsche Kunst wird der 8. Mai 1913 von besonderer Bedeutung sein, weil ihr an diesem Tage eine neue Stätte erstanden ist, die weit über die lokale Peripherie hinaus das Anrecht auf Beachtung hat. Stuttgart, das erst im vorigen Jahre durch zwei neue, architektonisch sehr bedeutsame Hoftheater sein gewaltsames Emporschnellen zur Großstadt nachdrücklichst dokumentierte, hat nun auch sein eigenes Kunstgebäude, in das es, wenn auch nicht in der vielleicht allzureichen Folge anderer Städte, so doch in gewissen Intervallen die Kunst zu Gaste laden kann. Nicht eigentlich ein Kunstpalast, wie etwa der in Dresden, oder das steinerne Ungeheuer in München, sondern ein feines, klug ausgedachtes Bauwerk, dessen Physiognomie eigentlich gar keinen andern Schluß, als der Kunst zu dienen, zuläßt, das ist es, was jetzt zum ersten Male seinem Zwecke dient.
Einer der originellsten Baukünstler Deutschlands, Professor Theodor Fischer, hat es erbaut und wie alles, was er geschaffen, so trägt auch dies der Munifizenz des Königs zu dankende Haus das Signum des Besonderen, Eigenwilligen, das kühn über alle Tradition und Konvention hinwegschreitet. Wie in allen solchen Fällen, so ist auch hier ein lebhaftes Für und Wider entstanden, und wenn nicht alles täuscht, so werden die Akten darüber nicht geschlossen werden, so lange es steht. Freilich bezieht sich das nur auf das Äußere. Denn so sehr auch die Meinungen hierüber auseinander gehen und gelegentlich heftig aufeinander zu prallen drohten, über das Innere herrscht nur eine Stimme des Lobes, die besonders am Tage der Eröffnung ein lebhaftes Echo fand.
Zugegeben, daß das Äußere in seiner Zerfahrenheit, die ganz das organisch aus sich heraus Entwickelte vermissen läßt, zum Widerspruch reizen muß, das Innere ist eben doch ausgezeichnet gelöst, und zweckbewußte Sachlichkeit vereint sich mit höchster künstlerischer Raumgestaltung. Freilich 2000 Bilder und mehr aufzunehmen, das wird niemals möglich sein. Das gab der Raum nicht her, und wenn man ehrlich ist, kann man froh darüber sein. Aber der gegebene Platz des alten abgebrannten Hoftheaters ist sehr geschickt ausgenützt, und die Herzuziehung des Gartens zur Aufstellung von Skulpturen muß im Hinblick auf die fürs Freie bestimmten Plastiken sehr reizvoll erscheinen. Die knapp 400 Bilder und eine reichlich schöne Auswahl von Graphik vereinen sich zu einer Fülle, die man genießen kann, ohne jene fürchterliche Ermüdung, die man in anderen Städten empfindet.
Ganz besonders schön ist die Kuppelhalle, deren in einen fein gegliederten Hirsch von Ludwig Habich auslaufende Krönung, von außen auch beanstandet und verlästert, von innen eine geradezu zwingende Größe und Vornehmheit ausströmt.
Daß man in diesem Hauptsaal nicht eine Elite von Kunstwerken unterbringen konnte, mag bedauerlich sein, von gewissen Gesichtspunkten aber zu verstehen. Aber auch ohne große Mühe findet man doch eine Menge ausgezeichneter Werke, und schon die als formales Problem hochinteressante Grablegung von Herterich löst als solche eine tiefe Wirkung aus. Auch sonst tritt München mit seinen starken und stärksten künstlerischen Energien sehr eindrucksvoll in die Erscheinung. Und wen die leuchtende Brillanz des Stuckschen Drachentöters allzu glatt anmutet, der findet in den Bildern des jüngeren H. R. Lichtenberger eine so beträchtliche künstlerische Potenz, daß man mehr als einmal die Blicke nach den besten modernen Franzosen hinüberlenkt. Sehr gut vertreten sind Leo Putz mit zwei Mädchen von bestrickender Frische der Farben, H. v. Zügel mit einem außerordentlich feinen Bild, Carl Caspar, dessen erdschwere, von künstlerischem Ernste durchflossene Malerei zu den Arbeiten seiner hochtalentierten Frau Caspar-Filser hinüberleitet. Rieh. Kaiser hätte können gern etwas Gewichtigeres schicken, Toni Stadlers feine Kunst wird durch zwei kleine Landschaften sehr gut charakterisiert. Einer voluminösen Kreuzigung von Becker-Gundahl gönnt man den Platz nicht, und es ist nicht einzusehen, wie das saft- und kraftlose Bild zu dieser Bevorzugung kam.
Berlin schickt seine Künstlerkoryphäen Slevogt und Corinth ins Treffen. Den letzteren mit einer in wohltuendem Gegensatz zu seiner sonstigen Art stehenden sehr liebenswürdigen Märchenerzählerin.
Liebermann bescheidet sich mit einem sein ganzes Können nicht genügend demonstrierenden Bilde und einer sehr flotten Zeichnung. Dann kommen von den Jüngeren M. Beckmann, Theo v. Brockhusen, H. Rößler und der hier mit seiner Sensation erregenden Ausstellung noch in guter Erinnerung stehende Franz Heckendorf, kommt der junge Berneis mit einem fabelhaft geschickt gemachten Porträt und gewissermaßen zur Abkühlung Eugen Kampf mit einem recht schwachen Bilde. Mit der Elite seiner Künstlerschaft tritt Karlsruhe sehr bemerkenswert auf. Und wenn Hans Thoma mit seiner biederen Sachlichkeit auch heute nicht mehr Stürme der Begeisterung entlockt, Dill mit seinen wieder recht farbig werdenden Landschaften, Fr. Fehr, R. Hellwag, H. Altherr und besonders Wilhelm und Alice Trübner mit ganz prachtvollen Malereien umschreiben einen beträchtlichen Komplex künstlerischer Deduk