KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang1912/1913Nr. 17. 24. Januar 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DAS MITTELALTERLICHE HAUSBUCH *)
Die kürzlich erschienene, sehr stattliche und vornehme Jahrespublikation des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft kommt diesmal nicht nur den Spezialisten zugute, sondern bringt mit der Reproduktion des »Wolfegger Hausbuchs« in getreuen Lichtdrucken den weiten Kreisen der Forscher und Verehrer altdeutscher Kunst eine hochwillkommene Gabe. Denn es war bisher geradezu ärgerlich, dieses für die Geschichte der Kunst wie der Kultur, für Heraldik und Waffenkunde bedeutsame und für das Schaffen des vielseitigsten und amüsantesten deutschen Künstlers des 15. Jahrhunderts sehr maßgebende Zeichnungswerk in keiner besseren Gesamtreproduktion als in den Nachstichen der Essenweinschen Ausgabe von 1887 benutzen zu können. Gerade bei dem fast unheimlichen Forschungseifer, der sich dem Hausbuchmeister zugewandt hat, war es um so notwendiger, diese zweite große Leistung seiner Kunst ähnlich wie seine Stiche in der von M. Lehrs schon vor 19 Jahren herausgegebenen monumentalen Lichtdruckpublikation in zuverlässigen Lichtdrucken und vollständig zu genauen Vergleichen zu haben. Nun ist es noch besonders angenehm, daß durch die Publikation des deutschen Vereins das unvergleichliche »Hausbuchfür den verhältnismäßig geringen Mitgliedbeitrag zum Hausbuch auch in jeder kunsthistorischen Privatbibliothek werden kann. Die neue Ausgabe bringt auf 74 Lichtdrucktafeln in Folio zum ersten Male sämtliche Zeichnungen des Hausbuchs in Originalgröße, den ganzen Originaltext in Transskription mit nur einigen Proben der beiden verschiedenen Schreiberhände in Lichtdruck, ferner kritische Erläuterungen und zusammenfassende Überblicke auf 71 Folioseiten von den beiden Herausgebern, H. Th. Bossert und W. F. Storck. Es ist also auf der einen Seite eine Ersparnis in der Reproduktion des Originaltextes gemacht und auf der anderen Seite ein bei solchen Publikationen ungewöhnlich umfangreicher Begleittext gegeben worden. Sollte es da nicht prinzipgetreuer gewesen sein, auch den Rest des Originaltextes in Lichtdrucken zu bringen und dafür an Beiträgen zu sparen, soweit sie nicht unbedingt zum Thema gehörten? — Auf farbige Wiedergabe der anscheinend von späterer Hand ausgeführten Kolorierung ist ver
zichtet worden, und für den nicht wesentlichen Ausfall sucht die Farbenangabe in dem beschreibenden Texte zu entschädigen.
Die beiden Herausgeber, durch ihre Forschungen über den Hausbuchmeister wohlbekannt, haben sich in die Arbeit so geteilt, daß Bossert die Beschreibung und Rekonstruktion des Hausbuchs, die Besitzerfrage, das Heraldische und Historische und die Transskription des Textes übernahm, während Storck das Vorwort, den Überblick über die Tätigkeit des Meisters und die Bibliographie verfaßte. Man kann mit uneingeschränkter Anerkennung konstatieren, daß die speziell das Hausbuch betreffenden scharfsinnigen Untersuchungen den Stand der Forschung über diese Fragen wesentlich erhöhen und den Weg zu weiteren Aufklärungen bahnen. So weist Bossert nach, daß das Hausbuch ursprünglich 98 Blätter zählte (von denen jetzt nur noch 65 vorhanden sind) und daß auf den verloren gegangenen Blättern Text und technische Zeichnungen, Hüttenbau, Armbrüste und Mörser betreffend, gestanden haben müssen. Auch ist das Hausbuch seinerzeit nicht abgeschlossen worden, da auf Seite 44b der Text abbricht und unbeschriebene Seiten folgen.
Sehr interessant und überzeugend haben sich die Nachforschungen über den ersten Besitzer gestaltet, obwohl freilich sein Name noch im Dunkel bleibt. Sein vielgesuchtes Wappen mit den gestümmelten Ästen und dem kauernden Greifen, das zweimal groß und zweimal klein vorkommt, kann nur ein bürgerliches sein, und der Inhalt des Textes weist auf einen Büchsenmeister, einen jener angesehenen und vielseitig gebildeten Männer, die im Kriege dem Geschützwesen, im Frieden der Münzprägung und dem Bergbau vorstanden. Dieser vermutete Büchsenmeister hat auch den Text des Hausbuchs, soweit er sich auf technische Dinge bezieht, selbst mit. markiger Hand und mit deutlicher Sachkenntnis geschrieben, während der Anfang des Textes mit allgemeinerem Inhalte und den Planetenversen von einem berufsmäßigen Schönschreiber geschrieben sein wird. Direkte Quellen für den Text ließen sich nicht nachweisen, aber ähnliche Rezeptsammlungen und Feuerwerksbücher waren seit dem 14. Jahrhundert verbreitet.
Um die Wende des 15. und um das zweite Viertel des 16. Jahrhunderts befand sich das Hausbuch im Besitze mehrerer Generationen der Familie Hof, die mit Innsbruck Beziehungen gehabt zu haben scheint, und von der ein Leonhart und ein Joachim sich nennen, die aber sonst noch nicht nachgewiesen werden konnten. Im Jahre 1672 wird das Hausbuch im Besitze des Grafen Maximilian Franz, des eigentlichen Begründers der Wolfegger Linie, erwähnt, in deren Fideikommiß es sich seitdem befindet.
*) Das mittelalterliche Hausbuch. Nach dem Originale im Besitze des Fürsten von Waldburg-Wolfegg-Waldsee im Auftrage des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft herausgegeben von Helmuth Th. Bossert und Willy F. Storck. VI, 72, XLI SS.; 74 Tafeln in Lichtdruck. Gr. 4°. Halbpergamentband. (Leipzig, E. A. Seemann) 1912. — Nicht im Buchhandel zu haben; kostenfreie Jahresgabe für alle Mitglieder des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft.