Füßen, sondern man merkt ihm stets recht deutlich an, bei wem er seine Vorbilder geholt hat. Seine Szenen aus dem Justizpalaste sind beinahe Kopien Daumiers, und seine Rennplätze wie seine Tänzerinnen hinter den Kulissen stammen direkt von Degas her. Selbstverständlich ist alles, was Forain macht, überaus interessant, aber seine ureigene Eigenart offenbart er doch nur in seinen Zeichnungen. Wenn man das Werk irgend eines Künstlers durchgeht, einerlei ob er seine Kunst mit dem Pinsel, der Feder oder sonst einem Instrumente ausübt, entdeckt man, daß ein jeder immer nur sich selbst schildert, malt, singt. Le style c’est l’homme, nicht nur bei dem Schriftsteller, sondern auch beim Maler und Musiker. Fast jeder Maler malt schließlich nur sich selbst, und man kann nicht nur aus den Arbeiten der Heroen wie Velasquez, Rembrandt, Hals, Michel Angelo, Correggio usw. die sichersten Schlüsse auf Charakter und Gemütsart des Künstlers ziehen, sondern selbst der langweiligste Akademiker erlaubt uns die gleichen Schlüsse: daß er nämlich keine Eigenart und Individualität hat, sondern ein langweiliger Alltagsmensch und Schulmeister ist. Wenn man nun aus den Arbeiten Forains auf ihn selbst schließen darf, so kommt dabei gerade kein Kompliment heraus. Denn Forain ist nur dann in seinem ureigenen Element, wenn er die menschliche Canaille schildert. Früher, als er noch arm und darum revolutionär, sozialistisch und antiklerikal war, gehörten die von ihm gezeichneten Canaillen den Klassen an, die man als gesellschaftstützende kennzeichnen mag; seit er reich und damit reaktionär, klerikal und konservativ geworden ist, schildert er Canaillen, die antiklerikal, sozialistisch und revolutionär sind, aber Canaillen hat er immer gezeichnet, und einzig und allein Canaillen kann er so vollkommen und erschöpfend, so giftig und meisterhaft zeichnen, wie es vor und neben ihm niemals einem Zeichner gelungen ist. Die nämlichen Gerichtsszenen, die Daumier zeichnete und malte, zeigen bei diesem gewaltigen Meister der Charakteristik nicht nur seine Verachtung und seinen Haß für die nichtswürdigen Richter und Advokaten, sondern auch sein echtes und wahres Mitleid für die Opfer der gerichtlichen Raben und Geier. Bei Forain aber ist alles Canaille, der Richter und der Advokat, die Witwe und die Waise. Das merkt man erst recht, wenn er einmal kein Gift verspritzen, sondern im Gegenteil nett und lobend sein will. Da hat er einige Bildnisse junger Mädchen gemalt und sich große Mühe gegeben, jungfräuliche Unschuld, Güte und Lieblichkeit in die Gesichtszüge zu legen. Wie schwer ist ihm das geworden, wie schlecht gelungen! Die Canaille schaut immer durch, wie unter einer Maske hervor. Sein eigenes Selbstbildnis ist der allerbeste Beweis dafür; er sieht darauf aus wie ein auf die Beute lauernder bleicher Apache der Pariser Fortifs, ein Mensch, dem man zwischen Tag und Dunkel gerne aus dem Wege ginge, dem man auch beim hellsten Sonnenlicht nicht über den Weg trauen würde. In Wirklichkeit sieht Forain gar nicht so bösartig aus, obgleich er allerdings etwas die Maske Tartuffes hat. Das alles geht uns freilich beim Künstler nicht viel an, wenn er nur ein wahrer Künstler ist, und das ist Forain ohne jeden Zweifel. Er ist einer der allergrößten Zeichner nicht nur unserer Zeit, sondern aller Zeiten, aber man muß Parteimann sein, man muß immer gerade zur Gegnerschaft der von ihm geschilderten Menschen gehören, um Genuß aus seinen Arbeiten zu gewinnen, und auch dann ist von einem wirklich reinen Kunstgenuß natürlich nicht die Rede. Forain ist der Aretin der Zeichenkunst, und reinen literarischen Genuß hat wohl niemals jemand bei Aretin gefunden.
SAMMLUNGEN
X Die Neuerwerbungen der National-Galerie, die jetzt im großen Vorraum des Erdgeschosses zusammengestellt sind, während dahinter die Umbauten dieses Stockwerkes nunmehr eifrig gefördert werden, bieten den erfreulichen Beweis, daß Direktor Ludwig Justi auch im letzten Jahre mit außerordentlichem Glück und Geschick gesammelt hat. Die Ausstellung enthält diesmal eine richtige Sensation: es hat sich endlich erreichen lassen, daß ein Bild von Max Slevogt für die Galerie erworben wurde. Beschämend genug, daß man diese Tatsache mit solcher Betonung verkünden muß. Aber alle Welt kennt ja die Situation, die seit fünfzehn Jahren in Berlin herrschte — die lächerlich sein würde, wenn die Sache nicht so bitter ernsthaft wäre: daß nämlich unser erstes deutsches Museum für neuere Kunst in weitem Bogen an sämtlichen Malern vorübergehen mußte, die sich zum Kreise der Sezession zählten. Nur von Liebermann — der ließ sich denn doch nicht übersehen — besitzt die Galerie eine Anzahl von Gemälden; daneben aus sehr früher Zeit (noch vor der Begründung der Sezession von einem Kunstfreunde geschenkt) ein einziges Werk von Leistikow, der aber damit völlig ungenügend vertreten ist. Jetzt endlich tritt Slevogt hinzu und zwar mit einer neuen Variation seines d’Andrade- Don Juan-Motivs, das er so oft behandelt hat. Das Bild zeigt, in glänzender Bravour des Vortrags, den Sänger, von Leporello gefolgt, in nächtlicher Szenerie; er ist nicht weiß gekleidet wie in Slevogts berühmten Don Juan Champagnerliedbildern, sondern steckt in einem dunklen blauschwarzen Kostüm, das eine fabelhalte malerische Behandlung aufweist. Endlich also ist in ein sinnloses und empörendes Vorurteil Bresche geschossen. Damit ist allerdings der Zuwachs der National-Galerie an Werken neuerer Malerei erschöpft. Dagegen sind zwei vorzügliche Werke von Charles Schuch hinzugekommen, ein kleineres Bild, Dorfhäuser bei Ferch an der Havel, und die riesige »Felsenschlucht«, wohl das größte Format, an das Schuch sich je gewagt hat. Daneben steht eine Laufenburger Skizze von Hans Thoma aus dem Jahre 1873. Von der älteren modernen Münchener Kunst sind eine feine Landschaft von Toni Stadler und zwei Stücke von Albert von Keller angekauft: eine Dame in Weiß (ein kleines Meisterwerk) und eine brillante Studie zu dem 1889 gemalten Bilde, das die Exhumierung der Leiche des Generals Latour d’Auvergne darstellt. Gehen wir weiter zurück, so finden wir ein paar vorzügliche Neuerwerbungen von Knaus: die Porträts des Ehepaars Maes von 1848 und die bekannten unvergleichlichen »Dambrettspieleraußerdem noch eine Kuriosität: die Kopie eines kleinen Jägerporträts von Otto Reinhard Jacobi (geb. 1814), der in Wiesbaden des jugendlichen Knaus Lehrer war, noch bevor er auf die Düsseldorfer Akademie kam — man sieht jetzt das Original Jacobis neben der verblüffend getreuen Kopie seines sechzehnjährigen Schülers aus dem Jahre 1845. Von 1850 stammt ein frisches Bildchen »Antibesvon Fritz Werner. Noch älter (1843) ist ein reizender Ausschnitt aus Venedig von Friedrich Nehrlich, bekannter unter dem italienisierten Namen Frederigo Nerly (1807 bis 1878). Dazu gehört eine italienische Landschaft von Franz Dreber. Alt-Dresden vertritt der romantische »Klosterfriedhof im Schnee« von Caspar David Friedrich, Alt-Düsseldorf eine Landschaft von J. C. Dahl (1832), Alt-Wien drei hübsche Stücke von Moritz von Schwind (darunter das Gemälde der »Sabine von Steinbach«), Alt- Berlin vorzügliche Malereien von Eduard Gaertner, Franz Krüger und Carl Steffeck. Auch Menzels berühmte Adresse zum Jubiläum der Firma Heckmann (1869) ist angekauft, die durch die Verwendung von Arbeiter