KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang1912/1913
Nr. 19. 7. Februar 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE MÜNCHENER FEUERBACH-AUSSTELLUNG
Die Feuerbach-Ausstellung der Galerie Heinemann in München im November 1912 regte zu Betrachtungen an, die ich hier den Lesern der Kunstchronik noch mitteilen möchte. Die Ausstellung brachte Beispiele aus allen Zeiten des künstlerischen Schaffens von Anselm Feuerbach und zeigte eine überraschende Mannigfaltigkeit in den Tendenzen und Richtungen seines künstlerischen Strebens, welche die Vorstellung der klassischen großen Linie, die im allgemeinen Urteil sich an den großen bekannten Werken gebildet hat, in vieler Beziehung erweiterte und ergänzte. Sie hatte ihren Hauptwert darin, daß sie gleichsam die Unterschiede seines Künstlertums bloßlegte, Ansätze, Unfertiges, woraus nur einzelne Züge in die Oberschicht aufgenommen sind. Aber um so reizvoller ist es, solche gelegentliche Blicke in die geistige Werkstätte eines Künstlers zu tun, Versuche und Anfänge zu beobachten, wie gerade hier besonders günstige Gelegenheit geboten wurde, um zu erkennen, wie zusammengesetzt das in seiner Klassizität scheinbar so einheitliche Künstlertum Feuerbachs ist, wie viel er fallen ließ, ja sogar unterdrückte, um auf diesem Untergrund das stolze Gebäude seiner Kunst zu errichten. Zu beachten ist freilich bei dem oft ganz erheblichen Unterschied an künstlerischer Qualität, die die einzelnen Sachen untereinander aufwiesen, daß es sich einerseits vielfach um unreife Jugendwerke handelte, andererseits um solche gelegentliche Niederschriften künstlerischer Einfälle, die er nicht nach dem ihm schon frühe vorschwebenden Ideal von Stille und Einfachheit kontrollierte, sondern in denen er sich seinem unruhigen Temperament, das ihn nach vielerlei Richtungen zog, unmittelbar überließ.
So mußte bei den kleinen Selbstbildnissen aus dem Jahre 1846, die zu den ersten Malversuchen überhaupt gehören, das gefällige Arrangement des freilich sehr hübschen Modells für die noch zähe und schwerfällige Art der Malerei eintreten. Auffallend frei und großzügig für das frühe Datum ist das Bild der Schwester, auch voll Verständnis für malerische Harmonie, wie der graublaue Grund zu dem hellblauen Seidenkleid gestimmt ist, und wie der feine Kopf mit den aschblonden Locken und blauen Augen in diesen Tönen erscheint. Das Bild des Vaters tritt dagegen etwas zurück, obwohl es auch gut und charakteristisch ist. Ebenso erreicht bei dem großen Selbstbildnis von 1847 mit aufgelegten Armen die Qualität der Malerei, die noch eine unsichere und tastende Handschrift zeigt, noch nicht die beabsichtigte Wirkung des großartigen und etwas eitlen Aufputzes, wogegen das Bild von Antonie von Siebold in seiner äußeren Schlichtheit nicht mehr geben will, als der
Künstler schon kann. Um zunächst bei den Porträts zu bleiben, deren Vereinigung in dieser Ausstellung zum erstenmal im Zusammenhang mit Feuerbachs Leistungen auf diesem Gebiet bekannt machte, so stellt das Porträt des Professor Cannstadt schon erheblich mehr Ansprüche auf wirklichen Wert und die Bildnisse des Professor Umbreit und des Präsidenten von Seutter sind, jedes für sich, höchst interessante Leistungen. Die Gestalt und der scharf geschnittene Kopf des Professor Umbreit in seiner strengen Haltung ist übersprüht von unruhigen mit scharfen Lichtern und kleinen Flächen arbeitenden Pinselstrichen, der gleichen Technik, die Feuerbach in jener Zeit mehrfach anwendete. In dem Bild des Präsidenten Seutter bemüht er sich um objektivere Darstellung, doch nicht ohne durch die stark herausgearbeiteten koloristischen Gegensätze des hellen weißhaarigen Kopfes vor graugelbem Grund und des glänzend schwarzen Rockes die Erscheinung des Dargestellten wie des Bildes als solchen interessanter zu machen.
Die Porträts der Schwestern Artaria führen schon in das Jahr 1860, in dem der Wendepunkt zu Klarheit und Ruhe schon hinter dem Künstler lag. Feuerbach ist zu schlichter, vornehmer Darstellung gelangt, die den Ansprüchen des Porträts wie der Bildgestaltung gleich gerecht wird. Von dem großen Bildnis der Mutter von 1867 ist nichts weiter zu sagen, als daß es sich in gleicher Vollendung dem späteren in der Nationalgalerie zu Berlin würdig zur Seite stellt, als Denkmal dieser Frau.
Das merkwürdigste und interessanteste Stück dieser Reihe ist aber das späteste, das Doppelbildnis der beiden Kinder von 1877, das in der außerordentlich breiten flächigen Behandlung direkt an Manet erinnert und nur mit rein malerischen Mitteln arbeitend, den Bildzusammenhang nicht durch die lineare Komposition, sondern mit Tönen und Farben herstellt. Der Anzug des Knaben hat ein ziemlich reines dunkles Blau, das heller in den weißgestreiften Strümpfen und der Schärpe des Mädchens wiederkehrt, die ein violettes Kleid trägt. Sehr fein ist das Buch, das der Knabe auf dem Schoß hält, mit seinen gelblichen und rosa Tönen zur Neutralisierung dieses an sich schwer zu vereinenden Nebeneinander von Lila und Blau verwendet. Das Rot des Grundes wie des Sessels und Vorhangs mit Neigung ins Violette ist eine Vertiefung des Tons im Inkarnat. Die roten Rosen, die die Kinder an der Brust tragen, beleben noch die farbige Wirkung. 1)
1)Sonderbarerweise beschreibt Allgeyer (IL, S. 308) das Bild so, als ob die Kinder im Grünen säßen und gibt es auch im Verzeichnis Nr. 645 so an. Es liegt vielleicht eine Gedächtnistäuschung vor, die in der Erinnerung das Rot des Grundes in die Komplementärfarbe Grün verkehrt hat.
Neue Folge. XXIV. Jahrgang1912/1913
Nr. 19. 7. Februar 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE MÜNCHENER FEUERBACH-AUSSTELLUNG
Die Feuerbach-Ausstellung der Galerie Heinemann in München im November 1912 regte zu Betrachtungen an, die ich hier den Lesern der Kunstchronik noch mitteilen möchte. Die Ausstellung brachte Beispiele aus allen Zeiten des künstlerischen Schaffens von Anselm Feuerbach und zeigte eine überraschende Mannigfaltigkeit in den Tendenzen und Richtungen seines künstlerischen Strebens, welche die Vorstellung der klassischen großen Linie, die im allgemeinen Urteil sich an den großen bekannten Werken gebildet hat, in vieler Beziehung erweiterte und ergänzte. Sie hatte ihren Hauptwert darin, daß sie gleichsam die Unterschiede seines Künstlertums bloßlegte, Ansätze, Unfertiges, woraus nur einzelne Züge in die Oberschicht aufgenommen sind. Aber um so reizvoller ist es, solche gelegentliche Blicke in die geistige Werkstätte eines Künstlers zu tun, Versuche und Anfänge zu beobachten, wie gerade hier besonders günstige Gelegenheit geboten wurde, um zu erkennen, wie zusammengesetzt das in seiner Klassizität scheinbar so einheitliche Künstlertum Feuerbachs ist, wie viel er fallen ließ, ja sogar unterdrückte, um auf diesem Untergrund das stolze Gebäude seiner Kunst zu errichten. Zu beachten ist freilich bei dem oft ganz erheblichen Unterschied an künstlerischer Qualität, die die einzelnen Sachen untereinander aufwiesen, daß es sich einerseits vielfach um unreife Jugendwerke handelte, andererseits um solche gelegentliche Niederschriften künstlerischer Einfälle, die er nicht nach dem ihm schon frühe vorschwebenden Ideal von Stille und Einfachheit kontrollierte, sondern in denen er sich seinem unruhigen Temperament, das ihn nach vielerlei Richtungen zog, unmittelbar überließ.
So mußte bei den kleinen Selbstbildnissen aus dem Jahre 1846, die zu den ersten Malversuchen überhaupt gehören, das gefällige Arrangement des freilich sehr hübschen Modells für die noch zähe und schwerfällige Art der Malerei eintreten. Auffallend frei und großzügig für das frühe Datum ist das Bild der Schwester, auch voll Verständnis für malerische Harmonie, wie der graublaue Grund zu dem hellblauen Seidenkleid gestimmt ist, und wie der feine Kopf mit den aschblonden Locken und blauen Augen in diesen Tönen erscheint. Das Bild des Vaters tritt dagegen etwas zurück, obwohl es auch gut und charakteristisch ist. Ebenso erreicht bei dem großen Selbstbildnis von 1847 mit aufgelegten Armen die Qualität der Malerei, die noch eine unsichere und tastende Handschrift zeigt, noch nicht die beabsichtigte Wirkung des großartigen und etwas eitlen Aufputzes, wogegen das Bild von Antonie von Siebold in seiner äußeren Schlichtheit nicht mehr geben will, als der
Künstler schon kann. Um zunächst bei den Porträts zu bleiben, deren Vereinigung in dieser Ausstellung zum erstenmal im Zusammenhang mit Feuerbachs Leistungen auf diesem Gebiet bekannt machte, so stellt das Porträt des Professor Cannstadt schon erheblich mehr Ansprüche auf wirklichen Wert und die Bildnisse des Professor Umbreit und des Präsidenten von Seutter sind, jedes für sich, höchst interessante Leistungen. Die Gestalt und der scharf geschnittene Kopf des Professor Umbreit in seiner strengen Haltung ist übersprüht von unruhigen mit scharfen Lichtern und kleinen Flächen arbeitenden Pinselstrichen, der gleichen Technik, die Feuerbach in jener Zeit mehrfach anwendete. In dem Bild des Präsidenten Seutter bemüht er sich um objektivere Darstellung, doch nicht ohne durch die stark herausgearbeiteten koloristischen Gegensätze des hellen weißhaarigen Kopfes vor graugelbem Grund und des glänzend schwarzen Rockes die Erscheinung des Dargestellten wie des Bildes als solchen interessanter zu machen.
Die Porträts der Schwestern Artaria führen schon in das Jahr 1860, in dem der Wendepunkt zu Klarheit und Ruhe schon hinter dem Künstler lag. Feuerbach ist zu schlichter, vornehmer Darstellung gelangt, die den Ansprüchen des Porträts wie der Bildgestaltung gleich gerecht wird. Von dem großen Bildnis der Mutter von 1867 ist nichts weiter zu sagen, als daß es sich in gleicher Vollendung dem späteren in der Nationalgalerie zu Berlin würdig zur Seite stellt, als Denkmal dieser Frau.
Das merkwürdigste und interessanteste Stück dieser Reihe ist aber das späteste, das Doppelbildnis der beiden Kinder von 1877, das in der außerordentlich breiten flächigen Behandlung direkt an Manet erinnert und nur mit rein malerischen Mitteln arbeitend, den Bildzusammenhang nicht durch die lineare Komposition, sondern mit Tönen und Farben herstellt. Der Anzug des Knaben hat ein ziemlich reines dunkles Blau, das heller in den weißgestreiften Strümpfen und der Schärpe des Mädchens wiederkehrt, die ein violettes Kleid trägt. Sehr fein ist das Buch, das der Knabe auf dem Schoß hält, mit seinen gelblichen und rosa Tönen zur Neutralisierung dieses an sich schwer zu vereinenden Nebeneinander von Lila und Blau verwendet. Das Rot des Grundes wie des Sessels und Vorhangs mit Neigung ins Violette ist eine Vertiefung des Tons im Inkarnat. Die roten Rosen, die die Kinder an der Brust tragen, beleben noch die farbige Wirkung. 1)
1)Sonderbarerweise beschreibt Allgeyer (IL, S. 308) das Bild so, als ob die Kinder im Grünen säßen und gibt es auch im Verzeichnis Nr. 645 so an. Es liegt vielleicht eine Gedächtnistäuschung vor, die in der Erinnerung das Rot des Grundes in die Komplementärfarbe Grün verkehrt hat.