vollständigen Übersicht wird das moderne Bühnenbild charakterisiert; der Anteil des bildenden Künstlers tritt nirgends so stark in die Erscheinung wie hier; selbst Künstler, die einer Bühnenwirkung im Grunde unendlich fern stehen — wie Liebermann, Slevogt —, haben sich von der modernen Bühne in den Bann ziehen lassen. Liebermann hat großzügige Entwürfe zu Gabriel Schillings Flucht, Slevogt impressionistische Skizzen zu Hauptmanns Florian Geyer ausgestellt. Orlik hat sich mit seinen bis in einzelne Details durchgearbeiteten Räuber- und Wintermärchenentwürfen einen hohen Rang unter den Bühnenkünstlern erworben. Bei den Figurinen zu den Räubern interessiert beispielsweise besonders stark das Eingehen und Mitberechnen der charakteristischen Bewegungen und Gesten der Schauspieler. Auch Fritz Erler hat, wie man sich erinnert, für die Bühnenkunst entscheidende Anregungen und Neuerungen geschaffen. Seine Inszenierungen des »Faust« und »Hamlet«, die dem Münchener Künstlertheater vor einigen Jahren die künstlerische Weihe gaben, wirken auch heute noch stark, farbig und dekorativ, architektonisch im Aufbau einzelner Gruppen. Den modernen Typ des Bühnenkünstlers repräsentiert am reinsten Emst Stern, der seit einigen Jahren dem Deutschen Theater sein künstlerisches Gesicht gegeben hat. Ob Stern das Pathos eines Shakespeareschen Dramas, das Burleske einer Molièreschen Komödie oder das Exotisch-Prächtige einer Vollmöllerschen Pantomime (Sumurûn) gibt, stets schafft er Bühnenbilder und Figurinen von der gleichen künstlerischen Durchdringung und Beseelung, wie sie die Stücke selbst vermitteln. Er ist auf der Ausstellung wirksam vertreten; neben Entwürfen zu Shakespeares Viel Lärm um Nichts solche für Vollmöllers Mirakel, neben Entwürfen für Molières Georges Dandin solche für Strauß-Hofmannsthals Ariadne auf Naxos. Einige Bühnenbilder zur Ariadne werden in Modellen vorgeführt, desgleichen die Drehbühnenmodelle zu Heinrich IV. und Viel Lärm um Nichts, die Sterns bühnentechnische Vorzüge klar erkennen lassen. Neben Stern bedeutete Karl Walser für Reinhardts Bühne einen starken Angelpunkt; der robusteren Art Sterns steht die zierliche Rokokograzie Walsers gegenüber. Es ist amüsant zu sehen, wie die Figurinen zu Offenbachs Schöner Helena (von E. Stern) neben solchen von Walser zu Offenbachs Hoffmanns Erzählungen stehen. Das Prickelnde, Spukhafte hat Walser am besten in Bildern zu Nestroys »Einen Jux will er sich machen« getroffen; seine reiche, sprudelnde Farbenphantasie hat in den Kostümen zur »Carmen« und »Figaros Hochzeit« ihren Ausdruck gefunden. — Ein starkes Talent, das geschickt gegebene Anregungen verwertet, aber originell und modern umgestaltet, ist Ottomar Starke, der einige Zeit in Mannheim, jetzt in Frankfurt arbeitet. Besonders an der Hand zweier durchgearbeiteter Inszenierungen zu Shakespeares Julius Caesar und Glucks Orpheus und Eurydike kann man sein starkes, bühnenmäßiges Können ermessen; bei den Entwürfen zum Orpheus, die eine besonders geschickte Ausnutzung moderner Beleuchtungseinrichtungen zeigen, gibt es Bilder von einer reichen, bildmäßigen Schönheit. Figurinen zu Herbert Eulenbergs »Alles um Geld« enthalten einige vorzügliche Charaktertypen; von den Figurinen zum Orpheus fallen besonders die regiemäßig gesehenen Gruppenbilder auf. Ein junger Künstler, Bertina, folgt allzu eng seinen Fußstapfen. — Von jüngeren Berliner Künstlern ragen Rochus Gliese und Knut Ström hervor; sie haben Bilder zu Shakespeares Macbeth geschaffen, die in ihrer straffen Gruppierung und leuchtenden Farbigkeit einzig dastehen. Bei den Figurinen zu Wallensteins Lager bleiben sie konventioneller, in den Entwürfen zu Hofmannsthals kleinen Dramen treffen sie überzeugend den starken Gefühlsgehalt dieser Dramolets,
wirken aber mehr illustrativ als bühnenmäßig; originell und persönlich sind die Figurinen zu dem »Bergwerk von Falun« und dem »Weißen Fächer«. Einige starke und wirksame Bilder hat Ralf Voltmer für Hagemann in Hamburg geschaffen, besonders die Dekorationsentwürfe zu Gozzis Turandot. Eduard Sturm in Düsseldorf zeigt Ansätze zu origineller Begabung in den zahlreichen subtilen Radierungen etwa für Büchners Rokokospiel »Leonce und Lena« und in dem bühnenwirksameren Modell zur Lysistrata. In Freiburg arbeiten L. Sievert, Ed. Peter und O. Reigbert; Sieverts Modelle zur »Braut von Messina« strömen eine starke und feierliche Wirkung aus, während Peters und Reigberts Entwürfe im überladen Skizzenhaften stecken bleiben. Eine geschlossene Gruppe bilden in der Ausstellung die Wiener Roller, Lefler, Graf Wimmer und Moser. Rollers Bilder für den Rosenkavalier sind leider wenig charakteristisch; Leflers Figurinen sind voll subtiler Reize; Mosers Entwürfe haben stark dekorativen und architektonischen Charakter (amüsant seine Wiener Werkstätteneinrichtung für Bahrs »Prinzip«); Wimmers Hamlet-Entwürfe sind originell und kühn im architektonischen Aufbau; Grafs Fideliobilder farbig und bühnenwirksam. Eine umfangreiche Tätigkeit haben H. Steiner, G. Wunderwald und E. Pirchan entfaltet; sie werden in der Ausstellung mit ihren bedeutsamsten Entwürfen repräsentiert. In der Abteilung der Figurinen springen O. Gulbranssons satirischgrotesken Bilder für Roda-Roda u. Meyrincks »Sklavin von Rhodos« ins Auge. Daneben nehmen eine eigene Stelle jene sensiblen Figurinen ein, die in ihren leise vibrierenden Linien an präraffaelitische Ahnen denken lassen, Kostümbilder von N. Wilkinson und A. Rothenstein zu Shakespearschen Stücken, ohne historische Befangenheit, rein künstlerisch-optisch gestaltet. Sie verdanken wohl besonders starke Anregung ihrem Landsmann: Edward Gordon Craig, der in der Ausstellung neben dem noch für Brahm entworfenen Bilde zu Hofmannsthals gerettetem Venedig durch seinen Radierungszyklus »Towards a new theatre« hervorragt. Neben ihm kommt Adolphe Appia gebührend zur Geltung, der bereits Ende der neunziger Jahre seine noch heute verblüffenden Entwürfe zu Wagnerschen Opern geschaffen hat. — Eine kleine Abteilung ist dem Marionettentheater gewidmet; burlesk-drastisch-derbe Kasperlefiguren eines Volkspuppenspielers machen sich wuchtig breit neben den eleganteren Marionetten Ivo Puhonnys. Besonders interessieren seine Entwürfe zu einer »Faust« aufführung auf der Marionettenbühne. — Risse, Bühnenbilder und Figurinen rufen die Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit des Mannheimer Theaters wach. — Die Theaterbaukunst unserer Zeit wird durch Werke der bedeutendsten Architekten vertreten. Eines der am einheitlichsten gestalteten Theater scheint mir O. Kaufmanns Projekt für die Berliner Neue Freie Volksbühne zu sein; schon sein Hebbeltheater gehört zu den besten Lösungen der Zeit, in dem neuen Projekt ist die blockmäßige Geschlossenheit noch monumentaler gestaltet. Die reiche Bühnen- und Theaterpraxis M. Littmanns zeigt sich an seinen verschiedenen Bauten: in Stuttgart, Weimar, Posen, Charlottenburg usw. Auch Dülfer zeigt seine praktischen Erfahrungen und Lösungen in Duisburg, Dortmund, Lübeck und Meran. Neben ihnen sieht man Entwürfe von B. Schmitz, Lossow und Kühne, Bitzan, Vetterlein und Helbig. Schließlich folgen etwa 30 Entwürfe für das Berliner Kgl. Opernhaus; über diese Konkurrenz ist an anderer Stelle ausführlich berichtet, so daß hier die Tatsache ihrer Ausstellung lediglich konstatiert sei; eine einwandfreie Lösung scheint mir nirgends gefunden, neben allzu aufdringlichen historischen und lokalen Reminiszenzen treten architektonische Unzulänglichkeiten zutage. Viele Entwürfe bieten interessante