VERMISCHTES
× Der Neubau des Berliner Opernhauses bildet nach wie vor eine schwere Sorge der deutschen Kunstfreunde. Der sogenannte »dritte« Wettbewerb — in Wahrheit war es der erste, der weiteren Kreisen der Architektenschaft eine Beteiligung ermöglichte — hatte gewiß zahlreiche, sehr brauchbare Anregungen ergeben. Die fünf Entwürfe von Otto March, Jürgensen und Bachmann, R. Seel, Dülfer und Karl Moritz, die von der Akademie des Bauwesens als Jury aus den 68 eingelieferten Projekten herausgehoben und dem Ministerium zur Beachtung empfohlen worden sind, brachten nach jeder Richtung dem bisher von der Regierung Vorgeschlagenen gegenüber Neues: in der Bildung der Fassade, in der Grundrißlösung und in der Gestaltung des Königsplatzes, an dem sich der Neubau erheben soll. Aber auch andere Künstler, wie Rottmeyer in Braunschweig, wie Bruno Möhring und namentlich Poelzig in Breslau, traten mit originellen, beachtenswerten Ideen hervor. Man hatte allgemein die Empfindung, daß sich jetzt erst die Auffassung der großen und verantwortungsvollen Aufgabe zu klären beginne. Darum wurde auch der Ruf nach einer nochmaligen, nun wirklich öffentlichen, von allen Klauseln befreiten Konkurrenz laut. Aber dafür war die preußische Regierung nicht zu haben, und das Abgeordnetenhaus nickte zu ihren Darlegungen. Schön, sagten die Kunstfreunde, dann nehmt wenigstens den Künstler, dessen Entwurf, ohne in jedem Zuge eine schöpferische Großtat zu sein, das Problem am einheitlichsten, würdigsten und darum annehmbarsten gelöst hat: nehmt Otto March und vertraut ihm den Bau an, bei dessen Ausführung ja nun wohl noch Änderungen seiner Pläne vorgenommen werden können. Aber auch zu diesem Schritt, der nach Lage der Dinge der einzig vernünftige gewesen wäre, fanden weder Regierung noch Landtag die nötige Beherztheit. Und man einigte sich auf dem Boden eines schwächlichen und im Grunde haltlosen Kompromisses: für die Gestaltung des Königsplatzes soll ein neuer Wettbewerb ausgeschrieben werden — gerade hierin hatte March Vorzügliches in Vorschlag gebracht; den Theaterbau selbst aber sollte das Arbeitsministerium unter Berücksichtigung aller positiven Anregungen, die der Wettbewerb gebracht, und unter Hinzuziehung »eines freien Künstlersselbst weiter betreiben. Damit kann niemand zufrieden sein. Denn es ist ein Kapitalfehler, auf diese Weise den Bau des Opernhauses und die Platzgestaltung zu trennen, wenn etwas Einheitliches von großem Zuge zustande kommen soll. Und wer soll der »eine freie Künstler« sein? Man munkelte allgemein: March! Aber eine bindende Verpflichtung ist nicht erfolgt. Der Name wurde nicht einmal genannt. Also wer wird es sein? Und: wird dieser Künstler mit dem Ministerium, das sich in dieser Angelegenheit von vornherein seltsam genug benommen hat, wirklich fruchtbar Zusammenarbeiten können? Wie man in Berliner Kunstkreisen die Haltung dieser Behörde beurteilt, mag man aus dem Gerücht entnehmen, das entstand und geglaubt wurde, obschon es denn doch wohl in Preußen undenkbar ist, daß etwas ähnliches zutrifft: aus dem Gerücht nämlich, das erzählt, der Regierungsbaumeister Grube, dessen unzulänglicher Entwurf vor einem Jahre vom Ministerium so eindringlich empfohlen wurde, solle aus dem Staatsdienst austreten, um dann — als »freier Künstler« hinzugezogen werden zu können! Nun, das wird wohl kaum eintreffen. Aber so viel steht fest: das Schicksal dieses gewaltigen künstlerischen Unternehmens ist noch völlig im Nebelhaften, und mit größtem Argwohn sieht man dem Fortgang der Sache entgegen.
In Pisa erscheint seit Januar eine neue Kunstzeitschrift »Bullettino Pisano d’Arte e di Storia«, geleitet von
Pèleo Bacci, dem Soprintendente ai monumenti di Pisa. Die Zeitschrift wird monatlich ausgegeben und soll hauptsächlich die neuesten Ergebnisse archivalischer Forschungen dem Publikum nahebringen. Das Bullettino will im großen und ganzen das Programm der Miscellanea fiorentina von 1886 wieder aufnehmen. Der Name des Herausgebers verspricht Gutes.
FORSCHUNGEN
Im Repertorium für Kunstwissenschaft (1912, Heft 4/5) publiziert Johannes Kurzwelly einen Aufsatz über »Buffalmaco- und Traini-Fragen«. Der Verfasser, der auch den Buffalmaco-Artikel in dem 1911 erschienenen 5. Band von Thieme-Beckers Künstlerlexikon verfaßt hat, gibt zuerst einen Überblick über den augenblicklichen Stand der Buffalmaco-Forschung, indem er Pèleo Baccis Forschungen (im Bolletino d’Arte 1911) zum Ausgangspunkt nimmt und auf Grund eingehendster Quellenstudien einige Ergänzungen zu den bisher bekannten Tatsachen hinzufügt. Besonders wichtig erscheint die Feststellung, daß Buffalmaco nicht als ein Nachfolger, sondern als ein Zeitgenosse Giottos zu betrachten sei. Gelegentlich der Pisaner Camposantofresken wird auch einiges über Traini mitgeteilt. Zum Schluß geht der Verfasser auf ein Werk näher ein, das früher dem Buffalmaco zugeschrieben wurde und jetzt als Arbeit des Pietro Lorenzetti gilt: der Umiltà-Altar in der Akademie zu Florenz. Kurzwelly weist die auf Grund einer offenbar späteren Inschrift erfolgte Datierung dieser Arbeit auf 1316 zurück und setzt sie in die dreißiger Jahre des Trecento; als Autor möchte er Francesco Traini und nicht Pietro Lorenzetti angesehen wissen.
LITERATUR
Hermann Bahlmann, Johann Heinrich Tischbein (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 142. Straßburg, J. H. Ed. Heitz. 1911. 85 S. mit 14 Abb.)
Während der durch seine Beziehungen zu Goethe berühmte Joh. Heinr. Wilhelm Tischbein, Neffe Johann Heinrichs, bereits in mehreren Monographien und Untersuchungen behandelt worden ist, hat sich in neuerer Zeit niemand gefunden, der sich mit dem Schaffen seines Oheims näher befaßt hat. Nicht wunderbar: dessen Kunst ist, historisch genommen, nicht so interessant wie die Kunst des Jüngeren, und auch die äußeren Schicksale bieten geringeres Interesse. Wir kennen aus seinem Leben sogar nur die Hauptmomente. Geboren 1722 im Dorf Haina als Sohn eines Bäckers, in Kassel ausgebildet, verdankt er seine späteren Erfolge der Gunst des Grafen Stadion, der, auf ihn aufmerksam geworden, ihn 1743 nach Paris zum Studium unter Charles André Vanloo schickt, wo er fünf Jahre bleibt. Daran schließt sich ein dreijähriger Studienaufenthalt in Venedig, wo er bei Piazzetta arbeitet, und in Rom. Mit dreißig Jahren wird er Hofmaler des Landgrafen Wilhelms VIII., dann seines Nachfolgers Friedrichs II. und bleibt in dieser Stellung, seit 1776 Leiter der neugegründeten Kunstakademie, bis zu seinem Tode 1789 in Kassel tätig, gegen sein Lebensende durch ein Augenübel schwer behindert.
Tischbein war, alles in allem, ein mittelmäßiges Talent, dem auch in seinen guten Arbeiten ein stark provinzieller Zug anhaftet: nur ganz selten erhebt sich seine Kunst über eine gewisse Nüchternheit hinaus. Die Gleichmäßigkeit seiner Kunst in ihren verschiedenen Phasen steht dem Versuch chronologischer Scheidung hemmend im Weg. So behandelt Verfasser den Meister nach den verschiedenen Stoffgebieten, in denen er sich bewegt: Porträt, Geschichte und Mythologie, religiöse Bilder, Gesellschaftsstücke und Landschaften. Er legt den Hauptnachdruck auf das, was
× Der Neubau des Berliner Opernhauses bildet nach wie vor eine schwere Sorge der deutschen Kunstfreunde. Der sogenannte »dritte« Wettbewerb — in Wahrheit war es der erste, der weiteren Kreisen der Architektenschaft eine Beteiligung ermöglichte — hatte gewiß zahlreiche, sehr brauchbare Anregungen ergeben. Die fünf Entwürfe von Otto March, Jürgensen und Bachmann, R. Seel, Dülfer und Karl Moritz, die von der Akademie des Bauwesens als Jury aus den 68 eingelieferten Projekten herausgehoben und dem Ministerium zur Beachtung empfohlen worden sind, brachten nach jeder Richtung dem bisher von der Regierung Vorgeschlagenen gegenüber Neues: in der Bildung der Fassade, in der Grundrißlösung und in der Gestaltung des Königsplatzes, an dem sich der Neubau erheben soll. Aber auch andere Künstler, wie Rottmeyer in Braunschweig, wie Bruno Möhring und namentlich Poelzig in Breslau, traten mit originellen, beachtenswerten Ideen hervor. Man hatte allgemein die Empfindung, daß sich jetzt erst die Auffassung der großen und verantwortungsvollen Aufgabe zu klären beginne. Darum wurde auch der Ruf nach einer nochmaligen, nun wirklich öffentlichen, von allen Klauseln befreiten Konkurrenz laut. Aber dafür war die preußische Regierung nicht zu haben, und das Abgeordnetenhaus nickte zu ihren Darlegungen. Schön, sagten die Kunstfreunde, dann nehmt wenigstens den Künstler, dessen Entwurf, ohne in jedem Zuge eine schöpferische Großtat zu sein, das Problem am einheitlichsten, würdigsten und darum annehmbarsten gelöst hat: nehmt Otto March und vertraut ihm den Bau an, bei dessen Ausführung ja nun wohl noch Änderungen seiner Pläne vorgenommen werden können. Aber auch zu diesem Schritt, der nach Lage der Dinge der einzig vernünftige gewesen wäre, fanden weder Regierung noch Landtag die nötige Beherztheit. Und man einigte sich auf dem Boden eines schwächlichen und im Grunde haltlosen Kompromisses: für die Gestaltung des Königsplatzes soll ein neuer Wettbewerb ausgeschrieben werden — gerade hierin hatte March Vorzügliches in Vorschlag gebracht; den Theaterbau selbst aber sollte das Arbeitsministerium unter Berücksichtigung aller positiven Anregungen, die der Wettbewerb gebracht, und unter Hinzuziehung »eines freien Künstlersselbst weiter betreiben. Damit kann niemand zufrieden sein. Denn es ist ein Kapitalfehler, auf diese Weise den Bau des Opernhauses und die Platzgestaltung zu trennen, wenn etwas Einheitliches von großem Zuge zustande kommen soll. Und wer soll der »eine freie Künstler« sein? Man munkelte allgemein: March! Aber eine bindende Verpflichtung ist nicht erfolgt. Der Name wurde nicht einmal genannt. Also wer wird es sein? Und: wird dieser Künstler mit dem Ministerium, das sich in dieser Angelegenheit von vornherein seltsam genug benommen hat, wirklich fruchtbar Zusammenarbeiten können? Wie man in Berliner Kunstkreisen die Haltung dieser Behörde beurteilt, mag man aus dem Gerücht entnehmen, das entstand und geglaubt wurde, obschon es denn doch wohl in Preußen undenkbar ist, daß etwas ähnliches zutrifft: aus dem Gerücht nämlich, das erzählt, der Regierungsbaumeister Grube, dessen unzulänglicher Entwurf vor einem Jahre vom Ministerium so eindringlich empfohlen wurde, solle aus dem Staatsdienst austreten, um dann — als »freier Künstler« hinzugezogen werden zu können! Nun, das wird wohl kaum eintreffen. Aber so viel steht fest: das Schicksal dieses gewaltigen künstlerischen Unternehmens ist noch völlig im Nebelhaften, und mit größtem Argwohn sieht man dem Fortgang der Sache entgegen.
In Pisa erscheint seit Januar eine neue Kunstzeitschrift »Bullettino Pisano d’Arte e di Storia«, geleitet von
Pèleo Bacci, dem Soprintendente ai monumenti di Pisa. Die Zeitschrift wird monatlich ausgegeben und soll hauptsächlich die neuesten Ergebnisse archivalischer Forschungen dem Publikum nahebringen. Das Bullettino will im großen und ganzen das Programm der Miscellanea fiorentina von 1886 wieder aufnehmen. Der Name des Herausgebers verspricht Gutes.
FORSCHUNGEN
Im Repertorium für Kunstwissenschaft (1912, Heft 4/5) publiziert Johannes Kurzwelly einen Aufsatz über »Buffalmaco- und Traini-Fragen«. Der Verfasser, der auch den Buffalmaco-Artikel in dem 1911 erschienenen 5. Band von Thieme-Beckers Künstlerlexikon verfaßt hat, gibt zuerst einen Überblick über den augenblicklichen Stand der Buffalmaco-Forschung, indem er Pèleo Baccis Forschungen (im Bolletino d’Arte 1911) zum Ausgangspunkt nimmt und auf Grund eingehendster Quellenstudien einige Ergänzungen zu den bisher bekannten Tatsachen hinzufügt. Besonders wichtig erscheint die Feststellung, daß Buffalmaco nicht als ein Nachfolger, sondern als ein Zeitgenosse Giottos zu betrachten sei. Gelegentlich der Pisaner Camposantofresken wird auch einiges über Traini mitgeteilt. Zum Schluß geht der Verfasser auf ein Werk näher ein, das früher dem Buffalmaco zugeschrieben wurde und jetzt als Arbeit des Pietro Lorenzetti gilt: der Umiltà-Altar in der Akademie zu Florenz. Kurzwelly weist die auf Grund einer offenbar späteren Inschrift erfolgte Datierung dieser Arbeit auf 1316 zurück und setzt sie in die dreißiger Jahre des Trecento; als Autor möchte er Francesco Traini und nicht Pietro Lorenzetti angesehen wissen.
LITERATUR
Hermann Bahlmann, Johann Heinrich Tischbein (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 142. Straßburg, J. H. Ed. Heitz. 1911. 85 S. mit 14 Abb.)
Während der durch seine Beziehungen zu Goethe berühmte Joh. Heinr. Wilhelm Tischbein, Neffe Johann Heinrichs, bereits in mehreren Monographien und Untersuchungen behandelt worden ist, hat sich in neuerer Zeit niemand gefunden, der sich mit dem Schaffen seines Oheims näher befaßt hat. Nicht wunderbar: dessen Kunst ist, historisch genommen, nicht so interessant wie die Kunst des Jüngeren, und auch die äußeren Schicksale bieten geringeres Interesse. Wir kennen aus seinem Leben sogar nur die Hauptmomente. Geboren 1722 im Dorf Haina als Sohn eines Bäckers, in Kassel ausgebildet, verdankt er seine späteren Erfolge der Gunst des Grafen Stadion, der, auf ihn aufmerksam geworden, ihn 1743 nach Paris zum Studium unter Charles André Vanloo schickt, wo er fünf Jahre bleibt. Daran schließt sich ein dreijähriger Studienaufenthalt in Venedig, wo er bei Piazzetta arbeitet, und in Rom. Mit dreißig Jahren wird er Hofmaler des Landgrafen Wilhelms VIII., dann seines Nachfolgers Friedrichs II. und bleibt in dieser Stellung, seit 1776 Leiter der neugegründeten Kunstakademie, bis zu seinem Tode 1789 in Kassel tätig, gegen sein Lebensende durch ein Augenübel schwer behindert.
Tischbein war, alles in allem, ein mittelmäßiges Talent, dem auch in seinen guten Arbeiten ein stark provinzieller Zug anhaftet: nur ganz selten erhebt sich seine Kunst über eine gewisse Nüchternheit hinaus. Die Gleichmäßigkeit seiner Kunst in ihren verschiedenen Phasen steht dem Versuch chronologischer Scheidung hemmend im Weg. So behandelt Verfasser den Meister nach den verschiedenen Stoffgebieten, in denen er sich bewegt: Porträt, Geschichte und Mythologie, religiöse Bilder, Gesellschaftsstücke und Landschaften. Er legt den Hauptnachdruck auf das, was