KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang1912/1913
Nr. 23. 7. März 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
KASSELER BRIEF
Der Stadt Kassel ist es nicht beschieden gewesen, in der Geschichte der neueren deutschen Kunst eine irgendwie nennenswerte Rolle zu spielen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Wohnsitz des älteren Tischbein nicht ohne Bedeutung für das Kunstleben in Deutschland, verlor es in der Folgezeit den Ehrgeiz, eine führende Stellung einzunehmen. Die Kunstakademie, vom Landgrafen Friedrich II. 1775 gegründet, hat sich niemals zu einer Pflanzstätte eigentümlicher Begabungen entwickelt.
Eine neue Phase für dieses Institut hat mit der Berufung Hans Oldes an die Spitze begonnen. Olde, der Schleswig-Holsteiner, ein Jahrzehnt hindurch Leiter der Kunstakademie in Weimar, ist als einer der stärksten und kräftigsten Potenzen bekannt aus dem Kreise derer, die die letzte (oder sagt man jetzt besser: vorletzte? ) Epoche deutscher Malerei eingeleitet und ihr die Richtung gegeben haben. Oldes Bestreben ging dahin, der Akademie frisches Leben zuzuführen, und er hat versucht, dies dadurch zu erreichen, daß er eine Reihe von jüngeren Leuten berief, die ihr Atelier in der staatlichen Anstalt haben, aber frei von den eigentlichen Lehrpflichten sind. Ein Experiment, von dem man hoffen darf, daß es glückt: es muß nur erst genügend unter der Jugend in Deutschland bekannt sein, wieviele erfreulichen Talente sich gegenwärtig in Kassel zusammengefunden haben und bereit sind, ihr Können lehrend weiter zu geben.
Einige dieser jüngeren Kräfte haben sich schon einen guten Namen gemacht. Als Doyen muß Burmester genannt werden, weder an Jahren, noch an Leistungen mehr zur Jugend zu rechnen, obschon er sich in seinem Schaffen die volle Frische eroberungsfroher Jugend gewahrt hat, aus Kiel kommend; Otto Höger, vor einigen Jahren mit dem Villa Romana- Preis des deutschen Künstlerbundes ausgezeichnet, und in mehreren Sommern italienischen Aufenthaltes zu einem edlen Figurenslil sich heranbildend; Siegmund, ebenfalls durch südliche Eindrücke in seinem Farbensehen bestimmt, der, kaum hier festen Fuß fassend, der nächsten Umgebung Kassels die reizvollsten Motive absieht, Edmund Schäfer, der die Eindrücke weiter Weltreisen in pikanten graphischen Arbeiten fixiert hat, Odefey, Valett, Rohmeyer, J. van Brackel, lauter viel versprechende und interessante Talente.
Es lag nahe, daß der Kunstverein zu Kassel zunächst die Bestrebungen dieser frischen Schar in seinen Ausstellungen hier bekannt machte. Da erlebte man denn das Schauspiel, daß das Streben und Wollen dieser Künstler nicht nur keine Sympathien fand, sondern heftige Opposition hervorrief. Man konnte sich in die Zeiten zurückversetzt glauben, da die »Elfer« ihre
erste Ausstellung in Berlin bei Schulte veranstalteten und der allgewaltige Pietsch allen, die es hören und nicht hören wollten, bewies, wie widerwärtig, schlimm, aller echten und wahren Kunst (diese schönen Worte echt und wahr müssen bei solchen Gelegenheiten immer herhalten) völlig entgegengesetzt dies wäre. Das Schauspiel erlebten wir hier also aufs neue: aber während die Ausstellungen des Kunstvereins, mögen sie qualitativ noch so gut sein, meist gänzlicher Teilnahmlosigkeit unseres Publikums begegnen, so war diese, weil man sie allgemein verschrie, um so eifriger besucht, aufs heftigste umstritten — und so standen Probleme bildender Kunst für einige Wochen im Mittelpunkt des Interesses.
Und das mag denn eine gute Vorbereitung sein für das größere Unternehmen, das in wenigen Monaten hier ins Leben treten soll, die Deutsche Kunstausstellung, die der Vorstand des Kunstvereins vorbereitet hat, um seinerseits bei der Tausendjahrfeier der Stadt nach seinen Kräften mitzutun. Die Ausstellung wird im Orangerieschloß, dem schönen Barockbau aus der Zeit des Landgrafen Karl, stattfinden, der mit einigen inneren Herrichtungen zu einem überaus reizvollen Rahmen für das Unternehmen gestaltet werden kann. Das Bestreben ging dahin, von der gegenwärtigen deutschen Kunst (daher unter Ausschluß der Verstorbenen und der Ausländer) einen Begriff zu geben; um dies Ziel zu erreichen, wurde an allen wichtigen Plätzen in Ateliers und auf Ausstellungen das Material zusammengesucht. Es lag uns nicht sowohl daran, das Neueste und Unedierte zu bekommen, sondern möglichst, was einen jeden Künstler gut repräsentiert. Der Plan fand trotz der großen Konkurrenz gerade in diesem Jahre überall freundliche Aufnahme, und von den etwa 150 Künstlern, die persönlich eingeladen sind, haben bereits gut zwei Drittel die Werke, um die sie gebeten wurden, zugesichert. Mit Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden Raum wurde die Höchstzahl der Werke des Einzelnen auf drei festgesetzt und nur eine Ausnahme gemacht: der Erste der in Hessen geborenen Künstler, Carl Bantzer, wird sich mit einer größeren Zahl von Arbeiten darstellen.
Neben der Repräsentation des ganzen Deutschland werden die in Hessen-Kassel geborenen oder dort ansässigen Künstler ihren Platz billig beanspruchen dürfen. Sie aber werden ihre Arbeiten einer Jury vorzuführen haben, der u. a. Bantzer und Olde angehören.
Der Plan der Kunstausstellung hat in der Bürgerschaft eine erfreuliche Anteilnahme gefunden. Zunächst bewilligte die Stadt 10000 Mark zu den Kosten, dann zeichneten Private nahezu 50 000 Mark Garantiefonds und gingen Kaufverpflichtungen von fast 70000 Mark
Neue Folge. XXIV. Jahrgang1912/1913
Nr. 23. 7. März 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
KASSELER BRIEF
Der Stadt Kassel ist es nicht beschieden gewesen, in der Geschichte der neueren deutschen Kunst eine irgendwie nennenswerte Rolle zu spielen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Wohnsitz des älteren Tischbein nicht ohne Bedeutung für das Kunstleben in Deutschland, verlor es in der Folgezeit den Ehrgeiz, eine führende Stellung einzunehmen. Die Kunstakademie, vom Landgrafen Friedrich II. 1775 gegründet, hat sich niemals zu einer Pflanzstätte eigentümlicher Begabungen entwickelt.
Eine neue Phase für dieses Institut hat mit der Berufung Hans Oldes an die Spitze begonnen. Olde, der Schleswig-Holsteiner, ein Jahrzehnt hindurch Leiter der Kunstakademie in Weimar, ist als einer der stärksten und kräftigsten Potenzen bekannt aus dem Kreise derer, die die letzte (oder sagt man jetzt besser: vorletzte? ) Epoche deutscher Malerei eingeleitet und ihr die Richtung gegeben haben. Oldes Bestreben ging dahin, der Akademie frisches Leben zuzuführen, und er hat versucht, dies dadurch zu erreichen, daß er eine Reihe von jüngeren Leuten berief, die ihr Atelier in der staatlichen Anstalt haben, aber frei von den eigentlichen Lehrpflichten sind. Ein Experiment, von dem man hoffen darf, daß es glückt: es muß nur erst genügend unter der Jugend in Deutschland bekannt sein, wieviele erfreulichen Talente sich gegenwärtig in Kassel zusammengefunden haben und bereit sind, ihr Können lehrend weiter zu geben.
Einige dieser jüngeren Kräfte haben sich schon einen guten Namen gemacht. Als Doyen muß Burmester genannt werden, weder an Jahren, noch an Leistungen mehr zur Jugend zu rechnen, obschon er sich in seinem Schaffen die volle Frische eroberungsfroher Jugend gewahrt hat, aus Kiel kommend; Otto Höger, vor einigen Jahren mit dem Villa Romana- Preis des deutschen Künstlerbundes ausgezeichnet, und in mehreren Sommern italienischen Aufenthaltes zu einem edlen Figurenslil sich heranbildend; Siegmund, ebenfalls durch südliche Eindrücke in seinem Farbensehen bestimmt, der, kaum hier festen Fuß fassend, der nächsten Umgebung Kassels die reizvollsten Motive absieht, Edmund Schäfer, der die Eindrücke weiter Weltreisen in pikanten graphischen Arbeiten fixiert hat, Odefey, Valett, Rohmeyer, J. van Brackel, lauter viel versprechende und interessante Talente.
Es lag nahe, daß der Kunstverein zu Kassel zunächst die Bestrebungen dieser frischen Schar in seinen Ausstellungen hier bekannt machte. Da erlebte man denn das Schauspiel, daß das Streben und Wollen dieser Künstler nicht nur keine Sympathien fand, sondern heftige Opposition hervorrief. Man konnte sich in die Zeiten zurückversetzt glauben, da die »Elfer« ihre
erste Ausstellung in Berlin bei Schulte veranstalteten und der allgewaltige Pietsch allen, die es hören und nicht hören wollten, bewies, wie widerwärtig, schlimm, aller echten und wahren Kunst (diese schönen Worte echt und wahr müssen bei solchen Gelegenheiten immer herhalten) völlig entgegengesetzt dies wäre. Das Schauspiel erlebten wir hier also aufs neue: aber während die Ausstellungen des Kunstvereins, mögen sie qualitativ noch so gut sein, meist gänzlicher Teilnahmlosigkeit unseres Publikums begegnen, so war diese, weil man sie allgemein verschrie, um so eifriger besucht, aufs heftigste umstritten — und so standen Probleme bildender Kunst für einige Wochen im Mittelpunkt des Interesses.
Und das mag denn eine gute Vorbereitung sein für das größere Unternehmen, das in wenigen Monaten hier ins Leben treten soll, die Deutsche Kunstausstellung, die der Vorstand des Kunstvereins vorbereitet hat, um seinerseits bei der Tausendjahrfeier der Stadt nach seinen Kräften mitzutun. Die Ausstellung wird im Orangerieschloß, dem schönen Barockbau aus der Zeit des Landgrafen Karl, stattfinden, der mit einigen inneren Herrichtungen zu einem überaus reizvollen Rahmen für das Unternehmen gestaltet werden kann. Das Bestreben ging dahin, von der gegenwärtigen deutschen Kunst (daher unter Ausschluß der Verstorbenen und der Ausländer) einen Begriff zu geben; um dies Ziel zu erreichen, wurde an allen wichtigen Plätzen in Ateliers und auf Ausstellungen das Material zusammengesucht. Es lag uns nicht sowohl daran, das Neueste und Unedierte zu bekommen, sondern möglichst, was einen jeden Künstler gut repräsentiert. Der Plan fand trotz der großen Konkurrenz gerade in diesem Jahre überall freundliche Aufnahme, und von den etwa 150 Künstlern, die persönlich eingeladen sind, haben bereits gut zwei Drittel die Werke, um die sie gebeten wurden, zugesichert. Mit Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden Raum wurde die Höchstzahl der Werke des Einzelnen auf drei festgesetzt und nur eine Ausnahme gemacht: der Erste der in Hessen geborenen Künstler, Carl Bantzer, wird sich mit einer größeren Zahl von Arbeiten darstellen.
Neben der Repräsentation des ganzen Deutschland werden die in Hessen-Kassel geborenen oder dort ansässigen Künstler ihren Platz billig beanspruchen dürfen. Sie aber werden ihre Arbeiten einer Jury vorzuführen haben, der u. a. Bantzer und Olde angehören.
Der Plan der Kunstausstellung hat in der Bürgerschaft eine erfreuliche Anteilnahme gefunden. Zunächst bewilligte die Stadt 10000 Mark zu den Kosten, dann zeichneten Private nahezu 50 000 Mark Garantiefonds und gingen Kaufverpflichtungen von fast 70000 Mark