KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang1912/1913
Nr. 24. 14. März 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE UMGESTALTUNG DER GEMÄLDEGALERIE DES WIENER HOFMUSEUMS.
I.
Gleich nach dem Amtsantritte des neuen Leiters der Gemäldegalerie Dr. Gustav Glück war eine gründliche Neugestaltung der berühmten Sammlung angekündigt worden, und man hat nicht gezögert, den Anfang damit zu machen. Die italienischen Säle und Kabinette des 15. und 16. Jahrhunderts, die vor einiger Zeit dem Publikum zugänglich gemacht wurden, lassen uns erkennen, nach welchen Prinzipien diese Neugestaltung der alten Sammlung vor sich gehen soll. Wir müssen gleich eingangs betonen, daß wir mit Sehnsucht die Umordnung der ganzen Sammlung erwarten müssen, denn die paar fertigen Säle zeigen uns, wieviel tiefere und reichere Genüsse uns eine nach klugen Grundsätzen verteilte Bildersammlung vermitteln kann als ein durch seine unübersehbare Fülle erdrückendes Bildermagazin, wie es die Sammlung in ihrer alten Form gewesen ist.
Über eine für den modernen Menschen genießbare Art des Bildermagazinierens ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden und es wäre müßig, bereits Gesagtes nochmals zu wiederholen. So viel scheint aber als sicher aus der Diskussion hervorgegangen zu sein, daß eine »lebendige« Gemäldesammlung zwei verschiedene Gesichtspunkte in der Art ihrer Aufstellung berücksichtigen muß: sie muß die zu einer »Schausammlung« vereinigten »Qualitätsbilder« von den mehr den Forscher interessierenden »Studienbilderntrennen. Dadurch wird es ermöglicht, die Schaubilder (die keineswegs nach einem ewig gültigen Kanon ausgewählt sein müssen, sondern wechseln können! ) möglichst locker und unbehindert gehängt zur höchsten Intensität ihrer Wirkung zu steigern. Dr. Glück hat sich dieses Prinzip zu eigen gemacht, unterstützt durch das glückliche Zusammentreffen, daß für die zu schaffende Studiensammlung Säle in dem eben fertig werdenden neuen Burgflügel zur Verfügung stehen werden, so daß die bisherigen Bestände stark entlastet werden konnten. Dadurch wird andererseits auch der für den Forscher günstige Zustand geschaffen, daß die bisher bestehende Dreiteilung der Sammlung (Gemäldegalerie — Sekundärgalerie — Depot) aufhört und nun sämtliche Bestände in zwei allgemein zugänglichen Sammlungen vereinigt sein werden.
Über die neu eröffneten Säle und Kabinette kann man wohl kein größeres Lob sagen, als daß die Sammlung in ihrer Qualität bedeudend gesteigert erscheint. Vieles, was bisher in der Masse des Mittelmäßigen unterging, kommt nun — isoliert — zu unendlich erhöhter Bedeutung. Freilich boten die unglücklichen Räume die allergrößten Schwierigkeiten,
und wenn schließlich das Resultat so geworden ist, daß der Beschauer manchmal etwas guten Willen aufbringen muß, um manches Störende zu übersehen (so z. B. die hohen leeren Wände in den Kabinetten), so liegt die Schuld daran am Architekten des zu allem andern als zu einem Museum geeigneten Prunkbaues und nicht an den Beamten der Galerie, die sicher das Beste getan haben, was unter so schwierigen Vorbedingungen möglich war.
Wir wollen nun die neue Hängung im einzelnen betrachten. Saal I. und die zugehörigen drei Kabinette sind dunkelgrün bespannt, ein Stoff, auf dem die venezianischen Bilder prächtig zur Geltung kommen. Die übergroße Höhe des Saales, die bei der zweireihigen Hängung der Bilder sich allzusehr bemerkbar gemacht hätte, ist dadurch gemildert, daß ein breiter Streifen oben an der Wand in der Farbe der Decke (elfenbeinfarben) gestrichen wurde, so daß der Saal niedriger erscheint. Das Prinzip der Hängung ist das, daß große Bilder allein hängen, kleinere in zwei Reihen übereinander, und in diesem Falle immer so, daß das bedeutendere Bild in der unteren Reihe, in Augenhöhe, hängt. Die Mitte der Eingangswand nimmt der große Altar von Bart. Vivarini ein, umgeben von Bildern aus der Schule Bellinis. In dem anschließenden Teile der (durch eine Türe geteilten) Längswand hängt in die Mitte die Madonna mit Heiligen von Cima, links davon die Beweinung Christi von Antonello da Saliba (Neubenennung, früher Antonello da Messina), rechts Carpaccios Christus mit Engeln; im Teile jenseits der Türe in der Mitte die Madonna mit Heiligen von Palma Vecchio, umgeben von Bildern von Bonifazio und schwächeren Tizianporträts. Die gegenüberliegende Hauptwand ist den großen Bildern Tizians eingeräumt, machtvoll beherrscht durch das in der Mitte gehängte Ecce-homo-Bild, das jetzt erst, seit es aus der schwindelnden Höhe, in der es sich früher befunden hatte, herabgeholt wurde, seine prachtvollen Vorzüge im besten Lichte zeigt. Links von diesem Bilde hängen die Madonna mit den Heiligen Hieronymus, Stefan und Georg, die Ehebrecherin, die Danaë, das Porträt Stradas und die Grablegung, rechts davon die Callisto (auf deren Rückseite von Dr. Stix eine mit dem Londoner Exemplare zusammengehende Vorzeichnung entdeckt wurde), die Nymphe und die Schäfer (stark ruiniert). Die Ausgangsquerwand zeigt in der Mitte die Heimsuchung von Palma Vecchio, links davon seine Lucrezia, rechts den früher Cariani, jetzt Palma Vecchio genannten »Bravo« (Nr. 207).
Die zu Saal I. gehörigen Kabinette enthalten die Perlen der Venezianersammlung, jedes einzelne Bild als Einzelnes genießbar gemacht, indem die Bilder
Neue Folge. XXIV. Jahrgang1912/1913
Nr. 24. 14. März 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE UMGESTALTUNG DER GEMÄLDEGALERIE DES WIENER HOFMUSEUMS.
I.
Gleich nach dem Amtsantritte des neuen Leiters der Gemäldegalerie Dr. Gustav Glück war eine gründliche Neugestaltung der berühmten Sammlung angekündigt worden, und man hat nicht gezögert, den Anfang damit zu machen. Die italienischen Säle und Kabinette des 15. und 16. Jahrhunderts, die vor einiger Zeit dem Publikum zugänglich gemacht wurden, lassen uns erkennen, nach welchen Prinzipien diese Neugestaltung der alten Sammlung vor sich gehen soll. Wir müssen gleich eingangs betonen, daß wir mit Sehnsucht die Umordnung der ganzen Sammlung erwarten müssen, denn die paar fertigen Säle zeigen uns, wieviel tiefere und reichere Genüsse uns eine nach klugen Grundsätzen verteilte Bildersammlung vermitteln kann als ein durch seine unübersehbare Fülle erdrückendes Bildermagazin, wie es die Sammlung in ihrer alten Form gewesen ist.
Über eine für den modernen Menschen genießbare Art des Bildermagazinierens ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden und es wäre müßig, bereits Gesagtes nochmals zu wiederholen. So viel scheint aber als sicher aus der Diskussion hervorgegangen zu sein, daß eine »lebendige« Gemäldesammlung zwei verschiedene Gesichtspunkte in der Art ihrer Aufstellung berücksichtigen muß: sie muß die zu einer »Schausammlung« vereinigten »Qualitätsbilder« von den mehr den Forscher interessierenden »Studienbilderntrennen. Dadurch wird es ermöglicht, die Schaubilder (die keineswegs nach einem ewig gültigen Kanon ausgewählt sein müssen, sondern wechseln können! ) möglichst locker und unbehindert gehängt zur höchsten Intensität ihrer Wirkung zu steigern. Dr. Glück hat sich dieses Prinzip zu eigen gemacht, unterstützt durch das glückliche Zusammentreffen, daß für die zu schaffende Studiensammlung Säle in dem eben fertig werdenden neuen Burgflügel zur Verfügung stehen werden, so daß die bisherigen Bestände stark entlastet werden konnten. Dadurch wird andererseits auch der für den Forscher günstige Zustand geschaffen, daß die bisher bestehende Dreiteilung der Sammlung (Gemäldegalerie — Sekundärgalerie — Depot) aufhört und nun sämtliche Bestände in zwei allgemein zugänglichen Sammlungen vereinigt sein werden.
Über die neu eröffneten Säle und Kabinette kann man wohl kein größeres Lob sagen, als daß die Sammlung in ihrer Qualität bedeudend gesteigert erscheint. Vieles, was bisher in der Masse des Mittelmäßigen unterging, kommt nun — isoliert — zu unendlich erhöhter Bedeutung. Freilich boten die unglücklichen Räume die allergrößten Schwierigkeiten,
und wenn schließlich das Resultat so geworden ist, daß der Beschauer manchmal etwas guten Willen aufbringen muß, um manches Störende zu übersehen (so z. B. die hohen leeren Wände in den Kabinetten), so liegt die Schuld daran am Architekten des zu allem andern als zu einem Museum geeigneten Prunkbaues und nicht an den Beamten der Galerie, die sicher das Beste getan haben, was unter so schwierigen Vorbedingungen möglich war.
Wir wollen nun die neue Hängung im einzelnen betrachten. Saal I. und die zugehörigen drei Kabinette sind dunkelgrün bespannt, ein Stoff, auf dem die venezianischen Bilder prächtig zur Geltung kommen. Die übergroße Höhe des Saales, die bei der zweireihigen Hängung der Bilder sich allzusehr bemerkbar gemacht hätte, ist dadurch gemildert, daß ein breiter Streifen oben an der Wand in der Farbe der Decke (elfenbeinfarben) gestrichen wurde, so daß der Saal niedriger erscheint. Das Prinzip der Hängung ist das, daß große Bilder allein hängen, kleinere in zwei Reihen übereinander, und in diesem Falle immer so, daß das bedeutendere Bild in der unteren Reihe, in Augenhöhe, hängt. Die Mitte der Eingangswand nimmt der große Altar von Bart. Vivarini ein, umgeben von Bildern aus der Schule Bellinis. In dem anschließenden Teile der (durch eine Türe geteilten) Längswand hängt in die Mitte die Madonna mit Heiligen von Cima, links davon die Beweinung Christi von Antonello da Saliba (Neubenennung, früher Antonello da Messina), rechts Carpaccios Christus mit Engeln; im Teile jenseits der Türe in der Mitte die Madonna mit Heiligen von Palma Vecchio, umgeben von Bildern von Bonifazio und schwächeren Tizianporträts. Die gegenüberliegende Hauptwand ist den großen Bildern Tizians eingeräumt, machtvoll beherrscht durch das in der Mitte gehängte Ecce-homo-Bild, das jetzt erst, seit es aus der schwindelnden Höhe, in der es sich früher befunden hatte, herabgeholt wurde, seine prachtvollen Vorzüge im besten Lichte zeigt. Links von diesem Bilde hängen die Madonna mit den Heiligen Hieronymus, Stefan und Georg, die Ehebrecherin, die Danaë, das Porträt Stradas und die Grablegung, rechts davon die Callisto (auf deren Rückseite von Dr. Stix eine mit dem Londoner Exemplare zusammengehende Vorzeichnung entdeckt wurde), die Nymphe und die Schäfer (stark ruiniert). Die Ausgangsquerwand zeigt in der Mitte die Heimsuchung von Palma Vecchio, links davon seine Lucrezia, rechts den früher Cariani, jetzt Palma Vecchio genannten »Bravo« (Nr. 207).
Die zu Saal I. gehörigen Kabinette enthalten die Perlen der Venezianersammlung, jedes einzelne Bild als Einzelnes genießbar gemacht, indem die Bilder