KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang
1912/1913
Nr. 3. 18. Oktober 1912
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12. TAO FÜR DENKMALPFLEGE IN
HALBERSTADT
Der Tag für Denkmalpflege fand in diesem Jahre am 19. und 20. September in Halberstadt statt. Wie bekannt, haben der Tag für Denkmalpflege und der Bund Heimatschutz im Jahre 1910 in Danzig beschlossen, alle zwei Jahre gemeinsame Tagungen zu veranstalten, und die erste dieser gemeinsamen Tagungen für Denkmalpflege und Heimatschutz fand im vorigen Jahre in Salzburg statt. Der Tag für Denkmalpflege aber hat beschlossen, in den Zwischenjahren nach wie vor seine besonderen Versammlungen zu veranstalten. Man durfte gespannt sein, ob der Tag trotz den gemeinsamen Tagungen, die allein von den Regierungen beschickt werden, seine alte Anziehungskraft ausüben werde. Dies hat sich in Halberstadt glänzend erwiesen: weit über 300 Teilnehmer waren erschienen und wohnten mit großer Aufmerksamkeit vom Anfang bis zum Schlusse den Verhandlungen bei, die Geh. Hofrat Prof. Dr. von Öchelhäuser mit dem gewohnten, glänzenden Geschick zu aller Zufriedenheit leitete. Der Tag trug wiederum das Gepräge strenger Sachlichkeit und wissenschaftlichen Ernstes, das ihn von jeher ausgezeichnet hat und das der Vorsitzende streng zu wahren erfolgreich bemüht ist. Bemerkenswert ist auch, daß die Streitigkeiten der beiden Richtungen in der Denkmalspflege, der älteren historischen und der jüngeren modernen, so gut wie ganz zurückgetreten sind: die neuen Gedanken, die Cornelius Gurlitt im Jahre 1900 auf dem Denkmalpflegetage zu Dresden zum ersten Male vertrat, haben sich zu allgemeiner Geltung durchgesetzt, die ältere Richtung wird demgemäß als ihrer Zeit entsprechend milder beurteilt. In den Berichten schieden demgemäß auch die Erörterungen allgemeiner Art, die früher einen breiten Platz einnahmen, ganz aus. Im Vordergrunde standen die Themen spezifisch technischer Art, und die Berichte darüber standen auf erfreulicher Höhe, so daß die Zuhörer einen reichen Gewinn davontragen durften.
Die Wahl der Stadt Halberstadt erwies sich von vorn herein als überaus glücklich. Die kunstberühmte Stadt, die von karolingischer Zeit an bis zum Westfälischen Frieden Bischofssitz war, besitzt aus dem frühen Mittelalter eine Fülle hervorragender Baudenkmäler, dazu eine staunenswerte einzig dastehende Fülle kunstgewerblicher Schätze aus byzantinischer und christlicher Zeit, sie ist zudem ein Hauptort der köstlichen Holzarchitektur, die sich im 15. und 16. Jahrhundert in Niedersachsen so reich und mannigfaltig entwickelt hat, und besitzt, gleich Braunschweig und Hildesheim von diesen charaktervollen Erzeugnissen bodenständiger Baukunst eine große Menge
wohlerhaltener Beispiele. Die Teilnehmer am Tag für Denkmalpflege hatten somit reiche Gelegenheit, ihre kunstgeschichtlichen Kenntnisse aufzufrischen und zu erweitern, wobei sie durch einen ausgezeichneten einführenden Vortrag des Direktors des herzoglichen Museums in Braunschweig Geh. Hofrat Dr. P. J. Meier und durch trefflich angeordnete Führungen bestens unterstützt wurden. Prof. Meier nahm die Gelegenheit wahr, auf einige dringliche Aufgaben der Denkmalpflege in Halberstadt hinzuweisen, namentlich verlange die Liebfrauenkirche dringend eine geschmackvolle Herstellung und auch die Erhaltung der alten bischöflichen Residenz, des Peterhofs, legte er den Halberstädtern warm ans Herz. Bei der Führung durch die Paulskirche fiel den Denkmalpflegern auf, daß sie durch Feuchtigkeit der Wände arg leidet; soll nicht schlimmerer Schaden entstehen, so muß etwas Gründliches geschehen. Daß man im ehemaligen Chor der Paulskirche, der in sehr geschickter Weise zur Ruhmeshalle für 1866 und 1870 umgewandelt ist, ein Gemälde Christus und Pilatus aufgehängt hat, das in Charlottenburg als geschmacklos ausgewiesen worden ist, erscheint als ein weniger erfreuliches Auskunftsmittel, übele Kunst zu beseitigen. Bei der Wiederherstellung der alten Fachwerkhäuser, die vom Stadtbauamte mit Eifer betrieben wird, geht man von dem richtigen Gedanken aus, die alte Pracht auch wieder möglichst glanzvoll zutage treten zu lassen und gelegentlich auch mit dem Gold nicht zu sparen. Ein wohlgelungenes reiches Haus dieser Art gegenüber dem Rathaus fand allgemeinen Beifall. Zu billigen ist auch, daß man bei neuer Bemalung auch moderne Motive verwendet. Meinungsverschiedenheiten über den gewählten Grundton bei der Bemalung der Balken usw. wiegen neben diesen Hauptgesichtspunkten leichter und werden sich unschwer ausgleichen lassen.
Unter den Berichten der Tagung war zunächst der allgemeine Bericht des Vorsitzenden bemerkenswert. Er legte dar, wie große Fortschritte der Gedanke der Denkmalpflege in den letzten zwei Jahren gemacht hat: in Oldenburg, Braunschweig, Lübeck, Hamburg, Bremen, neuerdings auch in Württemberg sind neue Denkmalschutzgesetze teils erlassen, teils vorgelegt, teils in Vorbereitung; auch bei der Volksvertretung finden die grundlegenden Gedanken der Denkmalpflege und des Heimatschutzes jetzt Eingang, die kgl. preußische Regierung wird dem Landtag einen Gesetzentwurf zum Schutze frühgeschichtlicher Funde in der Rheinprovinz vorlegen. In Hessen sind bisher 2056 Denkmäler in die Schutzlisten eingetragen, dabei haben sich nur 220 Beschwerden über die Eintragung und die damit verbundene Eigentums