KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang
1912/1913
Nr. 4. 25. Oktober 1912
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AUSSTELLUNG ALTER OSTASIATISCHER
KUNST IN DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER KÜNSTE ZU BERLIN.
Die königliche Akademie der Künste, deren Ausstellungen seit einer Reihe von Jahren zu den wichtigsten Ereignissen im Berliner Kunstleben zählen, leiht ihre Räume einer Heerschau über den deutschen Besitz an alter ostasiatischer Kunst. Vor ein paar Jahren noch wäre ein solches Unternehmen unmöglich gewesen Wohl datiert die Entstehung einiger wichtiger Privatsammlungen weiter zurück, aber erst das tatkräftige Eingreifen des Generaldirektors der königlichen Museen, der eine eigene Abteilung für ostasiatische Kunst begründete, gab diesen bisher vereinzelt gebliebenen Bestrebungen den festen Mittelpunkt. Seinen Mitarbeitern Professor Große und Dr. Kümmel ist es zu danken, daß heut bereits nach wenigen Jahren Berlin in dem Rufe steht, eine der vorzüglichsten Sammlungen ostasiatischer Kunst außerhalb ihres Heimatlandes zu besitzen.
Ein solches Wort verpflichtet, und mit Spannung durfte man nach einigen kleineren Ausstellungen, die das Museum veranstaltete und von denen die letzte in der Zeitschrift für bildende Kunst eingehend gewürdigt wurde, nun diese umfassende Ausstellung erwarten, in der neben den Hauptstücken aus Museumsbesitz das beste, was deutschen Privatsammlungen zu erwerben gelungen war, gezeigt werden sollte. Mit dem Resultate darf man fürs erste wohl zufrieden sein. Man liest in dem Kataloge nicht die ganze Reihe von Meisternamen chinesischer und japanischer Kunst, mit denen andere Sammlungen prunken, dafür aber findet man eine Anzahl der hauptsächlichsten Typen der verschiedenen Schulen und Stilarten in guten und zuweilen vorzüglichen Beispielen vertreten. Und das ist das wichtigere. Nirgends ist es leichter als in Ostasien, das Verlangen der Bilderkäufer nach schöngeschriebenen Künstlersignaturen und künstlich alt gemachten Stempeln zu befriedigen. Es scheint sogar, daß in früherer Zeit in China solche Bezeichnungen gar nicht besagen wollten, daß das Bild selbst ein Original des betreffenden Meisters sei, sondern nur, daß es den Stil dieses Künstlers vertrete oder ein berühmtes Original wiederhole. Es gehört in der Tat eine übergroße Harmlosigkeit dazu, dieser Art von Signaturen nicht zu mißtrauen, und zwar um so mehr, je berühmter die Namen sind, die sie nennen.
Von den großen Meistern der chinesischen Kunst, die etwa in dem neuesten Katalog der Freersammlung gelegentlich ihrer Ausstellung in Washington figurieren, findet sich kaum eine Spur, dafür aber eine
Reihe von Originalen der Sungzeit, wie sie selten nur außerhalb Japans gezeigt wurden, ein Album mit kleinen Tuschlandschaften zumal, das neben dem besten seiner Art bestehen könnte. Nichts ist schwerer erreichbar als die wirklichen Meisterwerke altchinesischer Malerei. Sie sind ebenso selten wie die späten Nachahmungen, die heute auch den europäischen Markt wahrhaft überschwemmen, häufig sind. Daß die Ausstellungsleitung standhaft genug war, diesen Massenimport ganz fern zu halten, ist ihr mindestens ebenso hoch anzurechnen, wie, daß es ihr gelang, eine, wenn auch kleine Zahl qualitativ hochstehender Werke zur Stelle zu schaffen.
Es ist bezeichnend, daß die meisten der chinesischen Bilder, die hier gezeigt werden, in Japan erworben worden sind, denn die zuverlässigste Kunde von der alten Kunst Ostasiens danken wir dem Inselreiche, das nicht nur die Schätze seiner eigenen Vergangenheit in mustergültiger Weise bewahrte, sondern auch eine große Reihe alter chinesischer Kunstwerke in seinen Sammlungen vor dem Untergange schützte, dem im Reiche der Mitte selbst fast aller alte Besitz anscheinend zum Opfer fiel. Wir kennen in der Tat heut von chinesischer Kunst mit einiger Sicherheit nur das, was die Japaner in früherer Zeit interessierte, was sie von ihren künstlerischen Pilgerfahrten heimbrachten und was in ihrer eigenen Kunst fortlebte. Daß die Ausstellung diese Tatsache nicht verleugnet, sollte man ihr zum Verdienst anrechnen. Allerdings ist der japanische Geschmack zum Maßstabe genommen, aber in der sehr berechtigten Annahme, daß das Kunsturteil eines Japaners des 15. Jahrhunderts — denn so weit und weiter läßt sich die Kritik zurückverfolgen — für Werke der Sungzeit maßgebender ist als das eines Chinesen des 19. Jahrhunderts oder mehr noch eines kunstfremden europäischen Aufkäufers.
Entsteht durch diesen Grundcharakter der Ausstellung leicht der Eindruck, daß die japanische Kunst über Gebühr bevorzugt sei, so trifft das für die Malerei wenigstens nicht zu. Die buddhistische Malerei des Inselreiches zwar ist in ihrer letzten originalen Ausbildung reichhaltig und vorzüglich vertreten, in der Tuschmalerei aber überwiegt China durchaus, trotzdem hier Japan ein paar Hauptnamen ins Treffen führt, vor allem Sesshu und Sesson, jeden von beiden mit mindestens einem so hohen Anspruchs würdigen Werke. Dafür fehlt nicht nur Name, sondern auch Art des berühmten Motonobu, des japanischen Raffael, fehlt einerseits die große Tempelkunst der ältesten Zeit, andererseits die Historienmalerei der Tosaschule, und erst die Tokugawazeit ist wieder ausgiebig vertreten, die Köetsu-Sötatsu-Körinschule