einer kinderreichen Witwe eingegangen war. In diesen schweren Zeiten (seit 1877) und bis zu seinem Tod hat dem Künstler in aufopferndster und selbstlosester Weise ein Mann zur Seite gestanden, dessen Name für immer mit dem seinen verknüpft sein wird und in dem er nicht nur seinen treuesten und besten Freund, sondern auch den tiefgründigsten Kenner und Verehrer seiner Kunst gefunden hatte, der allein ihr Wesen und ihre Größe in Worte zu fassen vermochte, 1) der kunstsinnige Münchener Zoologe und Verfasser geistvoller Aphorismen, August Pauly. Noch eines anderen Mannes muß an dieser Stelle gedacht werden, des Schwagers des Verstorbenen, Josef Greinwald, der ihm gleichfalls in seinen schweren Zeiten in uneigennützigster Weise geholfen hatte. 1893 übersiedelte Haider für immer nach Schliersee und hier in der Abgeschiedenheit des oberbayrischen Gebirgsdorfes, im steten Verkehr mit einer ihn aufs tiefste ergreifenden Natur entstanden die großen Werke seiner zweiten Periode, hier findet ihn endlich auch die Welt, kauft seine Bilder, veranstaltet Ausstellungen und reicht ihm späte Ehren, von welchen ihn der von der Universität Breslau 1911 verliehene Ehrendoktor wohl am aufrichtigsten erfreut hat.
Haider war eine höchst merkwürdige Erscheinung im Kunstleben unserer Zeit. Gleich Böcklin und Thoma gehört er zu den Dichtern unter den Malern und so stand ihm schon ein großer Teil des in seinem Geschmack zum Impressionismus neigenden Publikums von vornherein fremd gegenüber. Aber auch von jenen Kunstfreunden, die sich an den Werken der beiden oben genannten Meister erfeuten, verstanden ihn lange Zeit nur wenige, da in seinen Bildern nichts von den phantastischen und die Phantasie zur Weiterarbeit anregenden Begebenheiten wie bei dem großen Basler zu spüren war, da er sich ferner einer Technik bediente, die allem Brauch und Herkommen zuwiderlief. Haider, dem man einen ganz eigenen Platz einräumen muß, war kein Fabulierer und Märchenerzähler, sondern ein Lyriker und zwar ein Lyriker von ganz einzig dastehender Kraft und Tiefe des Gefühls. Das Stück Landschaft, das er auf die Leinwand setzte, war nie die leere Kopie irgend eines bestimmten Naturausschnittes, sondern der Ausdruck einer mächtig ihn bewegenden Empfindung, eines seelischen Erlebnisses, mag dieses nun durch den Anblick einer schönen Gegend, durch ernste Musik oder durch Lektüre einer bedeutenden Dichtung wachgerufen worden sein. So sehr seine Landschaften, die häufig frei aus dem Kopf entworfen waren, das typische der bayrischen Voralpen geben, so wäre es doch unrichtig, wollte man hierin ihre Bedeutung und ihren ganzen Wert sehen, der vielmehr in dem Gefühlsgehalt zu suchen ist, in der feierlichen und abgeklärten Stimmung, die etwas ähnlich Beseligendes hat, wie die Musik der großen Meister von Bach bis Beethoven, die in der Dichtkunst ein Analogon in den wenigzeiligen Stimmungsbildern eines Goethe oder Martin Greif findet. »Seine
1) August Pauly: Zu Karl Haiders 60. Geburtstag. Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jahrgang 1906, Nr. 29.
figürlichen Bilder«, sagt August Pauly, 1) »sind immer Dichtungen, poetische Darlegungen ihm harmonischer Wesen, deren geistiger Kern sich in wenigen bedeutungsvollen Eigenschaften ausspricht: Unschuld und Liebreiz der kindlichen Seele, Würde und Vornehmheit eines gereiften edlen Wesens, verklärte Resignation eines enttäuschten Lebens, Ernst und Tiefe des Forschenden oder, in der Beziehung göttlicher Personen aufeinander, die Hoheit des Göttlichen. « Haiders künstlerische Mittel mußten nach den Voraussetzungen, von denen er ausging, selbstverständlich anderer Art sein, als sie heute bei der Mehrzahl seiner Kollegen gebräuchlich. War er in seinen Jugendjahren der Natur mit der größten Bescheidenheit, mit einer heiligen Ehrfurcht, die Allem und Jedem Beachtung schenkte, gegenübergestanden, so trat mit dem immer stärker werdenden Zug zum Großen, Monumentalen eine Vereinfachung und Beschränkung auf das Typische der Naturerscheinung ein, die er nur merkwürdigerweise nicht gleichzeitig mit einer vereinfachten, sondern vielmehr sehr kompliziert und mühsam anmutenden Technik zum Ausdruck brachte. Schlechte Beobachter behaupten, er hätte jedes Blatt und jeden Grashalm einzeln gemalt, und erkennen nicht, daß er in seinem späten Stil das Detail viel weniger wahrnimmt wie je zuvor und immer nur auf den Gesamteindruck hinarbeitet, wie auch Form und Farbe bei ihm nie um ihrer selbst willen auftreten, sondern immer dem Seelischen, das sich im Ganzen ausspricht, untergeordnet werden. Die großen Wiesenflächen, die er, durchzogen von einem einsamen Fußweg oder einem klaren Bächlein, mit Vorliebe in den Vordergrund seiner meist sehr streng komponierten Bilder legte, sind ein ebenso einfaches Mittel, den Beschauer zu sammeln und Ruhe über ihn auszugießen, wie er durch die zeitweilige Fortlassung der Schlagschatten als einer vorübergehenden und wechselnden Erscheinung den Eindruck des Ewigen, Abgeklärten bedeutend erhöhte. Haiders Gebiet war beschränkt, beschränkter als das irgend eines anderen hervorragenden Künstlers; in ihm aber war er von einer unerreichten Größe, und wer jemals die unendliche Stille und Ruhe, das Beseligende seiner Werke empfunden hat, wird leicht über die Verzeichnungen, Unbehilflichkeiten und andere nebensächliche Mängel hinwegsehen können. Die allmähliche Entwicklung des Künstlers, in dessen Schaffen zwei Hauptperioden mit einem Wendepunkt gegen Ende der achtziger Jahre zu unterscheiden sind, wurde uns vor zwei Jahren in einer umfangreichen Ausstellung der Sezession eingehend vor Augen geführt. 2) Die ältesten, mir bekannten Bilder tragen die Jahreszahl 1866, die älteste Landschaft, heute von den Söhnen des Künstlers aus dem Kunsthandel zurückgekauft, die Jahreszahl 1868. Als Hauptwerke seiner ersten Periode, die von Anfang an den Lyriker erkennen läßt, sich aber im Aufbau der Bilder und
1) A. a. O.
2) Vergl. den Bericht über die Ausstellung in dem »Münchner Brief« in Nr. 30 der Kunstchronik, Jahrg. 1910/11, S. 65 u. f.
Haider war eine höchst merkwürdige Erscheinung im Kunstleben unserer Zeit. Gleich Böcklin und Thoma gehört er zu den Dichtern unter den Malern und so stand ihm schon ein großer Teil des in seinem Geschmack zum Impressionismus neigenden Publikums von vornherein fremd gegenüber. Aber auch von jenen Kunstfreunden, die sich an den Werken der beiden oben genannten Meister erfeuten, verstanden ihn lange Zeit nur wenige, da in seinen Bildern nichts von den phantastischen und die Phantasie zur Weiterarbeit anregenden Begebenheiten wie bei dem großen Basler zu spüren war, da er sich ferner einer Technik bediente, die allem Brauch und Herkommen zuwiderlief. Haider, dem man einen ganz eigenen Platz einräumen muß, war kein Fabulierer und Märchenerzähler, sondern ein Lyriker und zwar ein Lyriker von ganz einzig dastehender Kraft und Tiefe des Gefühls. Das Stück Landschaft, das er auf die Leinwand setzte, war nie die leere Kopie irgend eines bestimmten Naturausschnittes, sondern der Ausdruck einer mächtig ihn bewegenden Empfindung, eines seelischen Erlebnisses, mag dieses nun durch den Anblick einer schönen Gegend, durch ernste Musik oder durch Lektüre einer bedeutenden Dichtung wachgerufen worden sein. So sehr seine Landschaften, die häufig frei aus dem Kopf entworfen waren, das typische der bayrischen Voralpen geben, so wäre es doch unrichtig, wollte man hierin ihre Bedeutung und ihren ganzen Wert sehen, der vielmehr in dem Gefühlsgehalt zu suchen ist, in der feierlichen und abgeklärten Stimmung, die etwas ähnlich Beseligendes hat, wie die Musik der großen Meister von Bach bis Beethoven, die in der Dichtkunst ein Analogon in den wenigzeiligen Stimmungsbildern eines Goethe oder Martin Greif findet. »Seine
1) August Pauly: Zu Karl Haiders 60. Geburtstag. Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jahrgang 1906, Nr. 29.
figürlichen Bilder«, sagt August Pauly, 1) »sind immer Dichtungen, poetische Darlegungen ihm harmonischer Wesen, deren geistiger Kern sich in wenigen bedeutungsvollen Eigenschaften ausspricht: Unschuld und Liebreiz der kindlichen Seele, Würde und Vornehmheit eines gereiften edlen Wesens, verklärte Resignation eines enttäuschten Lebens, Ernst und Tiefe des Forschenden oder, in der Beziehung göttlicher Personen aufeinander, die Hoheit des Göttlichen. « Haiders künstlerische Mittel mußten nach den Voraussetzungen, von denen er ausging, selbstverständlich anderer Art sein, als sie heute bei der Mehrzahl seiner Kollegen gebräuchlich. War er in seinen Jugendjahren der Natur mit der größten Bescheidenheit, mit einer heiligen Ehrfurcht, die Allem und Jedem Beachtung schenkte, gegenübergestanden, so trat mit dem immer stärker werdenden Zug zum Großen, Monumentalen eine Vereinfachung und Beschränkung auf das Typische der Naturerscheinung ein, die er nur merkwürdigerweise nicht gleichzeitig mit einer vereinfachten, sondern vielmehr sehr kompliziert und mühsam anmutenden Technik zum Ausdruck brachte. Schlechte Beobachter behaupten, er hätte jedes Blatt und jeden Grashalm einzeln gemalt, und erkennen nicht, daß er in seinem späten Stil das Detail viel weniger wahrnimmt wie je zuvor und immer nur auf den Gesamteindruck hinarbeitet, wie auch Form und Farbe bei ihm nie um ihrer selbst willen auftreten, sondern immer dem Seelischen, das sich im Ganzen ausspricht, untergeordnet werden. Die großen Wiesenflächen, die er, durchzogen von einem einsamen Fußweg oder einem klaren Bächlein, mit Vorliebe in den Vordergrund seiner meist sehr streng komponierten Bilder legte, sind ein ebenso einfaches Mittel, den Beschauer zu sammeln und Ruhe über ihn auszugießen, wie er durch die zeitweilige Fortlassung der Schlagschatten als einer vorübergehenden und wechselnden Erscheinung den Eindruck des Ewigen, Abgeklärten bedeutend erhöhte. Haiders Gebiet war beschränkt, beschränkter als das irgend eines anderen hervorragenden Künstlers; in ihm aber war er von einer unerreichten Größe, und wer jemals die unendliche Stille und Ruhe, das Beseligende seiner Werke empfunden hat, wird leicht über die Verzeichnungen, Unbehilflichkeiten und andere nebensächliche Mängel hinwegsehen können. Die allmähliche Entwicklung des Künstlers, in dessen Schaffen zwei Hauptperioden mit einem Wendepunkt gegen Ende der achtziger Jahre zu unterscheiden sind, wurde uns vor zwei Jahren in einer umfangreichen Ausstellung der Sezession eingehend vor Augen geführt. 2) Die ältesten, mir bekannten Bilder tragen die Jahreszahl 1866, die älteste Landschaft, heute von den Söhnen des Künstlers aus dem Kunsthandel zurückgekauft, die Jahreszahl 1868. Als Hauptwerke seiner ersten Periode, die von Anfang an den Lyriker erkennen läßt, sich aber im Aufbau der Bilder und
1) A. a. O.
2) Vergl. den Bericht über die Ausstellung in dem »Münchner Brief« in Nr. 30 der Kunstchronik, Jahrg. 1910/11, S. 65 u. f.