landläufige Darstellung, die ohne jene kritische Vorarbeit gar nicht denkbar wäre, ja in der Hauptsache auf ihren Erkenntnissen und Formulierungen beruht. Immerhin, die unbedingte Verehrung, der Schwung der Sprache und die Kraft der Anschauung machen ihren Eindruck, achtzig beigeheftete Bilder geben eine Vorstellung der Meisterwerke. Die Verehrer des Dichters werden also nicht enttäuscht.
Br.
R. Burger-Villingen, Geheimnis der Menschenform. Leipzig, Fritz Eckardt, Textband und Bilderband à 12 Mk.
Ein Porträtmaler glaubt das Geheimnis entdeckt zu haben, daß das Wesen des Menschen, alle inneren Kräfte, Anlagen und Eigenschaften, sich im Äußern, in Gesicht und Händen ausprägen, und er hat einen genauen Apparat, Plastometer gebaut, womit ein Kopf bis auf den Millimeter aufgenommen werden kann. Es wäre logisch gewesen, weitere Folgerungen auf solche exakte Maßaufnahmen zu gründen. Statt dessen entwickelt der Verfasser ein System der Psychologie an — oft so fragwürdigen und zweifelhaften — Kopfbildern berühmter und berüchtigter Männer, und er bringt es fertig, Mund, Augen, Ohren, Wangen, Nasenformen, ja selbst Nasenlöcher usw. geistig zu deuten, wobei die flachste Geschichtsauffassung ihre Dienste leihen muß. Galls Schädellehre und Lavaters Physiognomik sind damit weit in den Schatten gestellt. Aber aller Aufwand von Lesefrüchten, Versen, Zitaten können nicht darüber täuschen, daß ein gewisser Wahrheitskern bis zum Abstrusen übertrieben ist.
Br.
Curt H. Weigelt, Duccio di Buoninsegna. Studien zur Geschichte der frühsienesischen Tafelmalerei. Mit 79 Abbildungen auf 67 Lichtdrucktafeln. Leipzig, Karl W. Hiersemann (Kunstgeschichtl. Monographien XV), 1911. 36 M.
Als die erste Monographie über den Altmeister der sienesischen Malerei, mußte dieses Werk auch vieles schon längst Bekannte und Publizierte aufnehmen. Es mußte von Grund auf das Problem der Entstehung der sienesischen Malerei untersuchen und das gesamte Milieu, aus dem heraus sich Duccios Persönlichkeit entwickelte, schildern. Dadurch ist der Umfang des Werkes ein ziemlich starker geworden. Aber da das Buch als grundlegende Zusammenfassung alles dessen, was wir über einen der größten Künstler aller Zeiten wissen, gedacht ist, ist sowohl dies, als der etwas hohe Preis des Werkes — dafür erhält man aber auch ein Corpus imaginum aller Duccioschen Werke — zu entschuldigen. Sehr richtig ist es, wenn Weigelt gleich am Anfang seines Buches vornimmt, von Duccio »als Ergebnis eines Jahrhunderts, als Fundament der folgendenzu sprechen und ihn »als Glied einer Kette« zu sehen. Denn die Mehrzahl der Forscher wird wohl Duccio kaum mehr als einen kühnen Neuerer betrachten, sondern ihn vielmehr als den Künstler ansehen, der die sienesische Ducentomalerei, die von der »maniera greca« zur Trecentokunst überleitet, zur höchsten Potenz gebracht hat. Ebenso mit Recht hat Weigelt — entgegen der Ansicht O. Wulffs — die Annahme zurückgewiesen, Duccios Stil habe Einflüsse der französischen Gotik, und zwar auf dem Wege der Miniaturmalerei, erfahren. Die wenigen gotischen Einzelmotive leitet er vielmehr auf Giovanni Pisano zurück. Den Einfluß der reinen byzantinischen Kunst auf Duccio setzt Weigelt ganz minimal an, dagegen glaubt er, des Meisters Naturbeobachtung sehr hoch einschätzen zu müssen, ja, er geht so weit, hie und da unmittelbares Studium nach dem Modell annehmen zu können. Wir glauben es nicht, daß es mit der Naturkenntnis des altsienesischen Meisters so
weit her war — und andere Forscher werden wohl auch dieser Meinung sein. Sehr interessant ist Weigelts Rekonstruktion der Madonna von Guido da Siena im Stadthaus von Siena; dieselbe erscheint uns durchaus überzeugend und bildet eine wichtige Stütze für die Theorie, daß Duccios Kunst aus dem Kreise des Guido emporgewachsen sei. Weigelt will in umfangreichem Maße Bilderkritik treiben. Seite 260 f. gibt er ein »Verzeichnis der erhaltenen Gemälde Duccios und seines Kreises«. Nun aber geht aus derselben hervor, daß er einen großen — und sagen wir gleich: wichtigen — Teil der von ihm angeführten Bilder nicht aus Autopsie kennt, so kennt er z. B. die in englischen Galerien befindlichen Bilder nicht, aber auch viele in der unmittelbaren Nähe von Siena vorhandene Gemälde hat er versäumt im Original zu studieren. Dadurch ist, meiner Meinung nach, die Beweiskraft vieler seiner Bestimmungen von vornherein genommen. Wichtiger als die ästhetisch-historischen Ausführungen wäre es gewesen, da es sich um die erste und — wenigstens nach den Absichten des Verfassers — grundlegende Arbeit über den Meister handelt, die sämtlichen ihm von anderen Forschern mit mehr oder minder guten Gründen zugewiesenen Bilder einer unmittelbaren, gründlichen Kritik zu unterziehen, um dadurch das Oeuvre zu sichten. Wir meinen, eine solche Arbeit wird uns erst recht ermöglichen, Duccios Persönlichkeit ganz zu erfassen. Wenn z. B. Weigelt von Segna di Bonaventura spricht und wir hinten sehen, daß er von den 19 angeführten Bildern 13 nur aus Photographien kennt, so können wir seinen Ausführungen unmöglich autoritativen Wert beilegen.
Bernath.
Pietro Toesca, La Pittura e la Miniatura nella Lombardia dai più antichi monumenti alla metà del Quattrocento. 481 Abbildungen im Text und 35 Tafeln. Mailand, Hoepli, 1912. 60 Lire.
Eine Gesamtdarstellung der Geschichte der lombardischen Malerei, wie sie im vorliegenden, überaus stattlichen Bande gegeben wird, gehörte zu den wichtigsten Desideraten der kunsthistorischen Forschung. Beginnend mit den ältesten erhaltenen Denkmälern der Malerei in der Lombardei, den Mosaiken von S. Aquilino und S. Vittore in Mailand, verfolgt Toesca die Entwickelung der Großmalerei und der Miniatur bis auf die Anfänge Vincenzo Foppas. Kaum eine zweite Neuerscheinung der kunstwissenschaftlichen Literatur könnte man nennen, die eine solche Fülle von neuem Material, wie auch von neuen Gesichtspunkten enthielt, wie die vorliegende. Dies kann uns aber weiter nicht wundernehmen, denn Toesca hat sich schon längst durch seine grundlegenden Arbeiten als den wichtigsten Pionier in der Erforschung der nicht immer ganz einfachen Probleme der lombardischen Frührenaissancemalerei erwiesen. — Im Gegensatz zu den übrigen Gegenden Italiens spielt in der Entwickelung der Malerei in der Lombardei die Miniatur eine große Rolle, was wohl auf nordische Einflüsse zurückzuführen ist (im frühen Mittelalter scheint die deutsche Kunst nachhaltig in der Lombardei gewirkt zu haben, später, besonders gegen das Ende des 14. Jahrhunderts, ist es die französische Kunst, der die lombardische Miniaturmalerei die wertvollsten Anregungen zu verdanken hat). Diesem Umstand entspricht dann die sorgfältige Behandlung, die der Miniatur in Toescas Buch zuteil wird. Des Verfassers temperamentvoller, warmer Stil macht das wertvolle Buch zu einer angenehmen Lektüre. Mit der größten Anerkennung muß noch der ausgezeichneten typographischen Ausstattung und besonders der schönen Klischees gedacht werden. —th.
Inhalt:Karl Haider † Von W. Bayersdorfer. — Der III. Intern. archäolog. Kongreß in Rom. — Paul Kühn † — Personalien. — Westerkamp- Museum in Weißenburg i. Elsaß. — Ausstellungen in London, Straßburg, Graz. — Denkmal für Rudolf von Alt in Wien. — »Sappho und die Quellnymphe« als Deutung von Tizians Himmlischer und irdischer Liebe; Eine Studie über Giovanni d’Allemagna. — Literatur.
Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstraße 11 a
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h., Leipzig