KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang1912/1913Nr. 9. 29. November 1912
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DRESDNER BRIEF
Die Umgestaltung der Dresdner Galerie durch Direktor Posse ist rüstig vorwärts geschritten: die sämtlichen großen Säle des. ersten Obergeschosses sind fertig und bieten ein wesentlich anderes Bild dar als früher. Einesteils durch eine andere Verteilung der Gemälde auf die verschiedenen Säle, andernteils durch Veränderung der Hintergründe und der Lichtquellen. Besonders bemerkenswert ist die Umgestaltung der großen Kuppelhalle, die Posse zu einer Art Tribuna oder Salon carré eingerichtet hat. Schon architektonisch hat dieser Raum stark gewonnen: während er früher flaschenartig gestaltet war, ist er jetzt als regelrechter Kuppelraum mit Kassettenteilung und Oberlicht ausgebaut. Damit ist eine prächtige Raumwirkung erzielt, die eine entschiedene Verbesserung bedeutet. Man braucht sich nicht dabei aufzuhallen, daß damit Gottfried Semper Unrecht geschehen sei. Bekanntlich hat Semper, der 1849 wegen seiner Beteiligung an der Revolution Dresden flüchtend verlassen mußte, das Museum nicht fertig gebaut; seine Nachfolger richteten sich nach Sempers vorläufigem Modell, das ihm nur dazu dienen sollte, die Proportionen darnach zu verbessern, während er sich die Kuppel rund und weit großartiger gedacht hatte. Semper selbst hat sich später über diese Verkennung seiner Absichten unmutig ausgesprochen. Man kann sich demnach über die jetzige Veränderung des Kuppelsaales rückhaltlos freuen. Geblieben sind hier nur die Raffaelischen Teppiche, die nach wie vor den oberen Teil der runden Wand einnehmen, durch die Verbesserung der Lichtführung aber noch besser zur Geltung kommen; weggenommen aber sind die altniederländischen Teppiche, und an ihrer Stelle hängen jetzt auf der dunklen ruhigen Wandvertäfelung vierzehn Gemälde der italienischen Schulen, darunter berühmte Meisterwerke, wie Giorgiones schlummernde Venus, Tizians Zinsgroschen und Maria mit dem Kind und vier Heiligen, Palma Vecchios heilige Familie und die Drei Schwestern, Antonello da Messinas heiliger Sebastian, Cossas Verkündigung, Mantegnas heilige Familie. Diese Gemälde kommen auf dem dunklen Grunde farbig vorzüglich zu ihrer Wirkung, das Ganze wirkt überaus vornehm und geschmackvoll.
Überhaupt war es offenbar das Hauptstreben, in den Farben ruhig und vornehm zu bleiben und sich von allen auffälligen und heftigen Wirkungen fernzuhalten. Manche Besucher mit weniger ausgebildeten Farbenaugen merken daher gar nicht, daß das Rot der Wandverkleidung in den vier Hauptsälen links und rechts vom Kuppelraum ein ganz anderes geworden ist als das frühere unerfreuliche Braunrot. Die Säle sind im übrigen wie folgt angeordnet: Von der
Eingangshalle, wo die fünf Repräsentionsbilder des Hofmalers Louis de Silvestre auf violettem Grau trefflich zur Geltung kommen, gelangen wir durch den noch nicht fertigen Korridorraum in den früheren spanischen Saal, der nunmehr Rubens gewidmet ist. Von der Wand gegenüber dem Eingang grüßt uns das gewaltige Quos ego! — so empfängt uns gleich beim Eintritt in den ersten Hauptsaal ein starker nachhaltiger Eindruck. Diese Hauptwand ist jetzt durch Beseitigung der Tür geschlossen; an der Eingangswand hängen links und rechts von der Tür die beiden Hieronymusbilder von Rubens und van Dyck. Die übrigen Gemälde des Rubens sowie einige wenige von anderen vlämischen Meistern sind paßlich auf die vier Wände verteilt. Hier wie in den folgenden Sälen sieht man, wie Posse mit Erfolg bestrebt gewesen ist, die Gemälde so zu hängen, daß sie einander durch den Gegensatz von hell und dunkel, erregter und ruhiger Lichtführung in ihrer Wirkung steigern.
Der folgende Ssal ist Jordaens, Snyders und van Dyck gewidmet. An der rechten Längswand hängen die drei großen Jordaens: Darstellung im Tempel, der Verlorene Sohn und Diogenes, gegenüber Stilleben von Snyders und die acht bedeutendsten der Dresdner Bildnisse van Dycks, an der geteilten Stirnwand die Angehörigen am Grabe des Heilands von Jordaens sowie des Rubens Satyr und Tigerin nebst einigen Bildnissen von van Dyck, an der Stirnwand endlich des Snyders Stilleben mit dem weißen Schwan sowie die Winterlandschaft mit dem Jäger von Jan Wildens und einige andere vlämische Bilder. Daran schließt sich dann der schon früher gewürdigte prächtige Rembrandt-Saal, mit dessen Ausgestaltung Posse seine Tätigkeit in der Dresdner Galerie begann. Beim Durchblick durch die offene Tür sieht man, wie fein das Grün des Rembrandtsaales zu dem stumpfen Rot der beiden vlämischen Säle gestimmt ist — hier wie überall das Walten fein empfindender Künstleraugen.
Gehen wir zurück über die Kuppelhalle hinweg nach der anderen Seite, so kommen wir zunächst in den Saal der Bolognesen, der ebenso wie der folgende des Correggio Wände in stumpfem Rot erhalten hat, Im bolognesischen Saale sind vor allem die großen Gemälde, die früher oben hingen, heruntergenommen worden, die kleineren dekorativen Bilder, die aus der Nähe nicht allzuviel bieten, hängen darüber. Neben den Carracci, Procaccini, Guercino, Strozzi, Caravaggio haben hier auch die beiden Battonischen Gemälde: Heilige Magdalena und Johannes der Täufer Platz gefunden.
Im Correggio-Saale fällt vor allem vorteilhaft auf,
daß die vier großen berühmten Gemälde des Correggio
Neue Folge. XXIV. Jahrgang1912/1913Nr. 9. 29. November 1912
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DRESDNER BRIEF
Die Umgestaltung der Dresdner Galerie durch Direktor Posse ist rüstig vorwärts geschritten: die sämtlichen großen Säle des. ersten Obergeschosses sind fertig und bieten ein wesentlich anderes Bild dar als früher. Einesteils durch eine andere Verteilung der Gemälde auf die verschiedenen Säle, andernteils durch Veränderung der Hintergründe und der Lichtquellen. Besonders bemerkenswert ist die Umgestaltung der großen Kuppelhalle, die Posse zu einer Art Tribuna oder Salon carré eingerichtet hat. Schon architektonisch hat dieser Raum stark gewonnen: während er früher flaschenartig gestaltet war, ist er jetzt als regelrechter Kuppelraum mit Kassettenteilung und Oberlicht ausgebaut. Damit ist eine prächtige Raumwirkung erzielt, die eine entschiedene Verbesserung bedeutet. Man braucht sich nicht dabei aufzuhallen, daß damit Gottfried Semper Unrecht geschehen sei. Bekanntlich hat Semper, der 1849 wegen seiner Beteiligung an der Revolution Dresden flüchtend verlassen mußte, das Museum nicht fertig gebaut; seine Nachfolger richteten sich nach Sempers vorläufigem Modell, das ihm nur dazu dienen sollte, die Proportionen darnach zu verbessern, während er sich die Kuppel rund und weit großartiger gedacht hatte. Semper selbst hat sich später über diese Verkennung seiner Absichten unmutig ausgesprochen. Man kann sich demnach über die jetzige Veränderung des Kuppelsaales rückhaltlos freuen. Geblieben sind hier nur die Raffaelischen Teppiche, die nach wie vor den oberen Teil der runden Wand einnehmen, durch die Verbesserung der Lichtführung aber noch besser zur Geltung kommen; weggenommen aber sind die altniederländischen Teppiche, und an ihrer Stelle hängen jetzt auf der dunklen ruhigen Wandvertäfelung vierzehn Gemälde der italienischen Schulen, darunter berühmte Meisterwerke, wie Giorgiones schlummernde Venus, Tizians Zinsgroschen und Maria mit dem Kind und vier Heiligen, Palma Vecchios heilige Familie und die Drei Schwestern, Antonello da Messinas heiliger Sebastian, Cossas Verkündigung, Mantegnas heilige Familie. Diese Gemälde kommen auf dem dunklen Grunde farbig vorzüglich zu ihrer Wirkung, das Ganze wirkt überaus vornehm und geschmackvoll.
Überhaupt war es offenbar das Hauptstreben, in den Farben ruhig und vornehm zu bleiben und sich von allen auffälligen und heftigen Wirkungen fernzuhalten. Manche Besucher mit weniger ausgebildeten Farbenaugen merken daher gar nicht, daß das Rot der Wandverkleidung in den vier Hauptsälen links und rechts vom Kuppelraum ein ganz anderes geworden ist als das frühere unerfreuliche Braunrot. Die Säle sind im übrigen wie folgt angeordnet: Von der
Eingangshalle, wo die fünf Repräsentionsbilder des Hofmalers Louis de Silvestre auf violettem Grau trefflich zur Geltung kommen, gelangen wir durch den noch nicht fertigen Korridorraum in den früheren spanischen Saal, der nunmehr Rubens gewidmet ist. Von der Wand gegenüber dem Eingang grüßt uns das gewaltige Quos ego! — so empfängt uns gleich beim Eintritt in den ersten Hauptsaal ein starker nachhaltiger Eindruck. Diese Hauptwand ist jetzt durch Beseitigung der Tür geschlossen; an der Eingangswand hängen links und rechts von der Tür die beiden Hieronymusbilder von Rubens und van Dyck. Die übrigen Gemälde des Rubens sowie einige wenige von anderen vlämischen Meistern sind paßlich auf die vier Wände verteilt. Hier wie in den folgenden Sälen sieht man, wie Posse mit Erfolg bestrebt gewesen ist, die Gemälde so zu hängen, daß sie einander durch den Gegensatz von hell und dunkel, erregter und ruhiger Lichtführung in ihrer Wirkung steigern.
Der folgende Ssal ist Jordaens, Snyders und van Dyck gewidmet. An der rechten Längswand hängen die drei großen Jordaens: Darstellung im Tempel, der Verlorene Sohn und Diogenes, gegenüber Stilleben von Snyders und die acht bedeutendsten der Dresdner Bildnisse van Dycks, an der geteilten Stirnwand die Angehörigen am Grabe des Heilands von Jordaens sowie des Rubens Satyr und Tigerin nebst einigen Bildnissen von van Dyck, an der Stirnwand endlich des Snyders Stilleben mit dem weißen Schwan sowie die Winterlandschaft mit dem Jäger von Jan Wildens und einige andere vlämische Bilder. Daran schließt sich dann der schon früher gewürdigte prächtige Rembrandt-Saal, mit dessen Ausgestaltung Posse seine Tätigkeit in der Dresdner Galerie begann. Beim Durchblick durch die offene Tür sieht man, wie fein das Grün des Rembrandtsaales zu dem stumpfen Rot der beiden vlämischen Säle gestimmt ist — hier wie überall das Walten fein empfindender Künstleraugen.
Gehen wir zurück über die Kuppelhalle hinweg nach der anderen Seite, so kommen wir zunächst in den Saal der Bolognesen, der ebenso wie der folgende des Correggio Wände in stumpfem Rot erhalten hat, Im bolognesischen Saale sind vor allem die großen Gemälde, die früher oben hingen, heruntergenommen worden, die kleineren dekorativen Bilder, die aus der Nähe nicht allzuviel bieten, hängen darüber. Neben den Carracci, Procaccini, Guercino, Strozzi, Caravaggio haben hier auch die beiden Battonischen Gemälde: Heilige Magdalena und Johannes der Täufer Platz gefunden.
Im Correggio-Saale fällt vor allem vorteilhaft auf,
daß die vier großen berühmten Gemälde des Correggio