Heilige in seiner linken Hand hielt. Nun wird es aber gewiß die Leser der Kunstchronik interessieren, etwas über die verschiedenen Aufsätze zu hören, die in dem letzten Heft des Bolletino dʼarte erschienen sind.
Corrado Ricci publiziert die von Ermenegildo Costantini gemalte Kopie des unteren Teiles des Raphaelischen Bildes und gibt einen klaren Überblick über die darauf bezügliche Literatur. Dr. Giulio Zappa, Direktor der Pinakothek in Brescia, teilt interessante Notizen über die Geschichte des Bildes mit. Man weiß nicht, wie es in das Haus des alten gräflichen Geschlechtes der Tosio, aus welchem es dann in die Städtische Galerie kam, gelangte aber aus neueren Papieren ergibt sich, daß es 1821 in Florenz im Besitz eines Zwischenhändlers, eines gewissen Virginio Mazzoni sich befand, der sich von dem Vorstand der florentinischen Kunstakademie ein Zertifikat darüber erbat, in welchem es unter anderem heißt: »essendo stati ricercati del nostro parere, propendiamo a crederlo della prima maniera di Raffaello d’Urbino, trovando più grazia nel volto del ritratto suddetto che nell’opere di Perugino, dal colorito del quale molto si scosta«. Zwischen den Mitgliedern des Präsidiums, welche dieses Dokument zeichneten, sind die berüchtigten akademischen Maler der Zeit Pietro Benvenuti und Luigi Sabatelli, die, so viel es scheint, mehr Neigung zum Kunsthistoriker, als zum ausübenden Künstler hatten. Leider beachtete man dieses Urteil nicht, so daß das Bild nie wieder dem Raphael zugeschrieben wurde, sondern erst dem Cesare da Sesto, dann 1877 von Domenico Morelli dem Timoteo Viti. Der erste, der nach den florentinischen Akademikern Raphael als Maler des Bildes hypothetisch einigen Freunden bezeichnete, war Adolfo Venturi, als er 1898 zur Zentenarfeier des Moretto in Brescia verweilte. Dr. Fischei war aber der erste, welcher die Ähnlichkeit des Engelskopfes in Brescia mit dem Engelskopf auf der Kopie in Città di Castello erkannte und so den Weg zur endgültigen Lösung fand.
Endlich bespricht im Bollettino Professor Vittorio Spinazzola, Direktor des Neapolitanischen Nationalmuseums, ein Fragment des Raphaelischen Bildes, das bis jetzt unerkannt dort aufbewahrt wurde. Es handelt sich nicht um den schon erkannten Gottvater mit den Cherubsköpfen, sondern um die Büste der Madonna, die in einer Zwischenzone des Bildes ilnks vom Gottvater kniete. Das Ganze ist nur ein Täfelchen, welches 51 cm hoch und 41 cm breit ist. Die Jungfrau hält in beiden vorgestreckten Händen eine kleine Krone und neigt das mit einem blauen Mantel bedeckte Haupt. Die Hälfte der Krone fehlt und das Fehlende ist auf der Tafel des Gottvaters erhalten, sowie auch der obere Teil des Bogens, der, hinter dem Madonnenkopf beginnend, die Figur des Gottvaters umgibt. Ebenso reichen die Flügel des einen Cherubkopfes in die Tafel der Jungfrau. Alles entspricht der Originalzeichnung Raphaels und kein Zweifel ist möglich, daß die Büste der Jungfrau dem Raphaelischen Jugendwerk angehört.
Die Tafel mit der Madonna und die mit dem Herrgott kamen beide aus Rom in die Galerie Francavilla nach Neapel und von dort in das Nationalmuseum. In einem alten Inventar der Sammlung Francavilla stehen die Bilder unter der Bezeichnung: Quadri estratti da San Luigi dei Francesi. Sie gehörten also zu dem großen Stock italienischer Bilder, welche die Franzosen in der napoleonischen Zeit in ihrer Nationalkirche aufgespeichert hatten, um sie dann nach Paris zu schleppen. Fed. H.
Die erste Nummer des Jahrgangs 1912 (Januar-Februar) der »Revue de l’art chrétien« enhält einen längeren Beitrag von Dr. Pouzet zur Ikonographie der im Musée Ochier aufbewahrten romanischen Kapitale der Abteikirche von Cluny. Da ist zum Beispiel ein Kapitäl, das die vier primären Töne der Musik darstellt. Andere zeigen Personifizierungen der Jahreszeiten und der Tugenden. Diese schönen Werke der hochromanischen Skulptur gehören zum wenigen, was die Zerstörung der berühmten Abtei überdauert hat. Ein längerer Aufsatz von A. Demartial in derselben Nummer beschäftigt sich mit den Kupferstichen und Emaillen des Léonard Limousin, während ein anderer, von Louis de Farcy, die Hauptstücke des Domschatzes von Narbonne reproduziert und bespricht.
Die zweite Nummer (März-April) bringt außer der Fortsetzung des Pouzetschen Artikels über die Kapitäle von Cluny einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der hochgotischen Skulptur der Hede France, A. Boinets Studie über die Fassadenskulpturen der Kathedrale von Meaux. Dieselben sind mit den Skulpturen von Notre-Dame in Paris eng verwandt, und zwar sind die von Meaux später entstanden als die von Paris. Wahrscheinlich ist der Bildhauerische Schmuck der Portale von Meaux das Werk einer Pariser Werkstatt.
VERMISCHTES
Seit einiger Zeit hatte die Militärverwaltung die aus dem vierzehnten Jahrhundert stammende Burg von Vincennes dem Besuche des Publikums geöffnet und dadurch den künstlerisch-geschichtlichen Sehenswürdigkeiten von Paris einen bedeutenden Zuwachs gegeben; jetzt aber ist die Burg wieder geschlossen, obgleich sie nicht den früheren Kasernenzwecken zurückgegeben worden ist. Es handelt sich bei diesem bedauerlichen Rückschritt um eine in der französischen Verwaltung so häufig wiederkehrende Streitfrage, diesmal zwischen dem Kriegsministerium und dem Ministerium der bildenden Kunst. Beide sind einig, daß man aus der Burg von Vincennes ein Museum machen müsse, etwa in der Art des Tower von London, aber keines von beiden will das Geld dazu hergeben. Es wird des Einschreitens der Kammer und einer besonderen Geldbewilligung bedürfen, ehe man den Wünschen der Pariser Kunstfreunde Gehör schenken und Vincennes dauernd dem öffentlichen Besuche übergeben kann.
Im Schlosse von Fontainebleau sind jetzt die »kleinen Appartements« zugänglicher gemacht worden, die unter dem Kaiserreich für Napoleon, seine Mutter, die Kaiserin Josephine und die sonstigen Angehörigen der kaiserlichen Familie eingerichtet worden sind. Diese Räume sind mit außerordentlich schönen Möbeln Louis Seize und Empire ausgestattet, die niemals ihren Bestimmungsort verlassen haben, und deren Urheber die bekanntesten Kunsthandwerker jener Epoche sind. Die meisten Möbel sind von dem Hoftischler Jacob entworfen und ausgeführt, die Leuchter, Uhren usw. von Thomire, Galle, Delafontaine, Lepautre, die Goldschmiedearbeiten von Biennais, Auguste und Odiot. Das Ganze bildet ein unvergleichlich schönes und reiches Museum des Kunsthandwerks der letzten Jahrzehnte des achtzehnten und des ersten Dezenniums des neunzehnten Jahrhunderts, und man muß sich wundern, daß diese Schätze so lange in Verborgenheit blieben und jetzt erst für das besuchende Publikum gehoben werden.
Inhalt:Dresdener Brief. — Otto Lessing †; Fritz Baer †. — Personalien. — Karmeliterkirche in Mainz; S. Stefano in Venedig; Grande Chartreuse. — Wettbewerbe: Berliner Opernhaus; Kirche in Schmargendorf; Laufbrunnen in Bonn. — Ausstellungen in Elberfeld, Jena, Karlsruhe, Köln, Paris, Wilhelmshaven, Venedig. — Suermondt-Museum in Aachen; Museum für ostasiat. Kunst in Köln; Berliner Museen; Oldenburg. Museum; Kunstmuseum in Essen; Franzos. Sammlungen; Gemäldegalerie Sir H. Layard in Venedig; Metropolitan-Museum; Bostoner Museum. — Stiftung f. d. Berliner Akademie. — Drei vlämische Madonnen in Italien; Zu Raphaels Krönung des hl. Nikolaus von Tolentino; Romanische Kapitäle in Cluny. — Vermischtes.
Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstraße 11a
Druck von Ernst Hedrich Nachf., g. m. b. h., Leipzig