KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 42. 5. September 1913
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NEUERWERBUNGEN DES NATIONALMUSEUMS
ZU STOCKHOLM
I. Der Verein »Die Freunde des Nationalmuseums«.
Seit dem Jahre 1910 besteht in Stockholm ein Verein, der, nach den Beispielen des Kaiser-Friedrich-Museums- Vereins, der amis du Louvre usw. den Zweck verfolgt, »wertvolle Kunstgegenstände einzukaufen, die dann dem Nationalmuseum als Gabe überlassen oder dort deponiert und ausgestellt werden. Die Arbeiten lebender schwedischer Künstler und Kunsthandwerker sind vom Einkauf ausgeschlossen«, wie es wörtlich in den Satzungen heißt. Der Vorsitzende des jungen Vereins ist Se. Kgl. Hoheit der Kronprinz und als Sekretär fungiert das neben diesem an Iniative reichste Mitglied des Vorstandes, der bekannte Kunstfreund und Sammler, Herr Thorsten Laurin. Trotzdem der Mitgliedsbeitrag auf 100 Kronen pro Jahr festgesetzt ist, hat der Verein schon eine recht große Anzahl Mitglieder erhalten, und die Früchte der Tätigkeit des Vereins machen sich nicht nur an den Wänden des Museums, sondern auch in einem lebhafteren und unternehmungslustigeren Kunstinteresse in der Hauptstadt bemerkbar.
Ein kurzer Bericht über die Einkäufe des Vereins wird deren Spannweite zeigen, die um so größer sein muß, da das Museum sowohl moderne wie alte Kunst, Malerei, Skulptur, Graphik, Handzeichnungen und Kunstindustrie enthält. Natürlich hat der Verein sein erstes Augenmerk darauf gerichtet, die Lücken im Museum zu füllen, die eine allzu knapp bemessene Staatssubvention lange hat offen stehen lassen. So entbehrte das Nationalmuseum ein Werk der florentinischen Quattrocentokunst, bis die »Freundeeinen Tondo in Tempera von Piero di Cosimo, »Maria mit dem Kinde und dem kleinen Johannes«, einkauften. Wenn das Bild auch nicht von so hoher Qualität ist, daß es Werke der leitenden Quattrocentomeister ersetzt, so ist das Panneau des empfänglichen Piero doch eine gute Stichprobe der stilistischen Linie, deren preziöse Anmut ihr typischstes Kräuseln bei Filippino Lippi erhält. Eine Balustrade, vor welcher die Madonna sitzt und die den Tondo in derMitte abschneidet, deutet vielleichtaufnorditalienischen Einfluß hin.
Wie bekannt, ist die Abteilung des Museums für französische Malerei vom 18. Jahrhundert eine der am besten versehenen in Europa — sie enthält ja u. a. Bouchers unvergleichlich hervorragendstes Werk »Die Geburt derVenus— und das Streben der Museumsverwaltung geht deshalb dahin, dieselbe durch Neuerwerbungen möglichst abzurunden. »Die Freunde des Nationalmuseums« haben eine solche Ergänzung durch Beiträge zum Ankauf eines Bildnisses von J. B. Greuze ermöglicht. Auf den letzten Ausstellungen französicher Kunst aus dem 17. Jahrhundert hat sich die tiefe Kluft zwischen dem rührseligen Sittenschilderer und dem klaräugigen Porträtisten Greuze immer klarer herausgestellt. Das neue im Besitze des Museums befindliche Brustbild eines unbekannten Mannes bestätigt dies mit seinen herb kühlen Tönen und seinem offenen Antlitz, das eine ererbte Vornehmheit mit den vorurteilsfreien und neuerwachten Blicken der Revolutionszeit vereinigt. Als Verbindungsglied zwischen zwei Epochen, sowie durch seine solide Malerkultur ist das Bild interessant.
Die moderne französische Kunst hat ebenfalls dank den »Freunden« einige außerordentlich wertvolle Vermehrungen erhalten.
Eine Landschaft von Courbet ist in Vevey, Schweiz, gemalt, im Jahre 1875, also im Jahre nach der Gefangenschaft, als er seine Genialität in einer letzten Serie von Landschaften auflodern ließ. Die Komposition ist beinahe symmetrisch abgewogen mit einem Wasserfall, der zwischen ein paar ruhig silhouettierten Klippen stürzt. Es ist typisch, daß er auch im pittoresk-spitzen Hellweiß nach den architektonischen Motiven aus einem Guß greift, ähnlich denen seiner Heimatgegend, welche sich dem schwer monumentalen Zuge des »Realisten« Courbet gegenüber so entgegenkommend verhalten. Echt Courbetisch ist auch das Kolorit mit seinen saftigen, samttiefen Tönen in Erdbraun, Grün und Glasblau.
Von dem französischen Impressionismus hatte das Museum bis zum Jahre 1912 kein einziges zentrales Werk — ein sehr hübscher Manet und ein guter Raffaelli gehören ja nur zu den Grenzgebieten des Impressionismus. Jetzt ist durch eine Flußlandschaft von Sisley, in Tönen von Weiß, Hellgrün und Blau gestimmt, die durch eine Reihe spärlicher, violetter Bäume hindurchsickern, ein Strom von Licht und mildester IsIe-de-France-Luft in das moderne französische Kabinett hineingeweht worden. Es ist ein Pleinair-Gemälde,dasdie ganzeFrische des Impressionismus in sich trägt, ohne an dessen Neigung zur Mechanisierung des Technischen zu leiden. Das Bild — »Aux bords du Canal du Loing« genannt — ist 1896 datiert. Ein Renoir — den ich in einem folgenden Artikel zu schildern Gelegenheit haben werde — und zwei Degas repräsentieren die Figurenmalerei des Impressionismus. Es unterliegt keinem Zweifel, daß diese drei Bilder einige der gewichtigsten Erwerbungen sind, die das Museum in den letzten Jahren gemacht hat. Die beiden Degas besitzen neben dem künstlerischen ein bedeutendes kunstgeschichtliches Interesse, da sie zwei verschiedene Seiten seines Schaffens repräsentieren. Das eine ist ein Tänzerinbild, Pastell, aufgebaut mit einer untrüglich sicheren Architektonik und gleichzeitig ein Dokument der augenblicklichen Bewegung, wie sie nur Degas darstellen kann. Es sind zwei Tänzerinnen in Ruhe. Die müden, etwas negerhaft brutalen Gesichter zurückgelehnt, heben sie ihre Hände bis zu den Schultern empor und hieraus bilden sie ein Ornament einer großen und schweren Monumentalität über den summarisch behandelten Steifröcken, deren hellziegelrote Fläche den Vordergrund ausfüllt. Starke Schatteneffekte auf den Körpern und eine summarisch ausgedehnte Kulisse in Violett, Grün, und Rot geben dem Bilde Räumlichkeit. Bei diesem Bilde hat die Bewegung und die Komposition den Künstler am meisten interessiert, während er sich gleichzeitig von der fruchteisartigen Süßlichkeit in der Farbe, die bei ihm oft das Gleichgewicht zwischen Form und Farbe stört, vollständig frei gemacht hat. Das zweite Bild ist eine rein koloristische Ölstudie von höchster Kultur. Ein Weib sitzt auf einem großen, weichen Stuhl, die Hände auf der Lehne. Keine Bewegung, nichts von der großen Zeichnung im Pastell, ja, man kann sogar unachtsame Verzeichnungen nachweisen. Die Zahl der Farben ist nur ganz gering. Ein