KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 43. 12. September 1913
Die Kunstclironik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE KRITIK DER REMBRANDTZEICHNUNGEN
Ein angesehener Gelehrter, Herr W. v. Seidlitz, hat in der Nr. 26 dieser Zeitschrift vom 28. März 1913 einen Aufsatz veröffentlicht unter dem Titel: Die Rembrandtzeichnungen der Sammlung Heseltine und C. Hofstede de Groot.
Auf den ersten Teil des Titels: die Zeichnungen der Sammlung Heseltine werde ich im folgenden nicht weiter eingehen als nötig ist. Der Verfasser hatte die Absicht, die Sammler und Liebhaber vor der am 27. Mai stattgehabten Versteigerung von 32 Blättern aus dieser Sammlung darauf aufmerksam zu machen, daß ein großer Teil dieser Zeichnungen falsch, ein ebenso großer Teil zweifelhaft und nur ein verhältnismäßig geringer Teil unzweifelhaft echt seien. Der Zweck war lobenswert, wurde aber nicht erreicht, denn die Sammlerwelt bezahlte auch für die von Seidlitz angezweifelten Blätter bisher unerhörte Preise. Die 32 ZeichnungenTgingen ? für einen Gesamtbetrag von 330000 Gulden (inkl. io°/0 Aufgeld) in andere Hände über, also ein Durchschnitt von über 10000 Gulden pro Stück. Der Mahnruf war der einer vox clamantis in deserto!
Herr von Seidlitz vertritt in der Kritik der Rembrandtzeichnungen einen von der Mehrzahl der Forscher als derartig hyperkritisch angesehenen Standpunkt, daß es schwer, wenn nicht unmöglich sein dürfte, sich mit ihm zu verständigen. Er selbst sagt, daß er von den 47 Heseltineschen Zeichnungen, die im Lippmann- H.deG.’schen Werk veröffentlicht sind, 11 für falsch und 14 für zweifelhaft halte. Es bleiben daher nur 22 sicher echte übrig, während die Herausgeber doch alle 47 für echt gehalten haben, denn sonst würden sie sie nicht als »Rembrandtzeichnungen« publiziert haben.
Diese weitgehende Divergenz der Anschauungen ist der Grund gewesen, weshalb ich von der Seidlitzschen Kritik im Repertorium für Kunstwissenschaft bei der Ausarbeitung meines beschreibenden und kritischen Katalogs keinerlei Notiz genommen habe. Ich halte diese Kritik für unberechtigt und deshalb falsch, was Herrn von Seidlitz aus unserem jahrelangen Gedankenaustausch über diesen Gegenstand nicht unbekannt ist. Herr von Seidlitz glaubt aus diesem und anderen Gründen, daß mein Buch auf einem veralteten Standpunkt und ich mit meiner Ansicht über die Echtheit einer großen Zahl der Zeichnungen mehr oder weniger allein stehe. Ich meinerseits glaube dasselbe vom Seidlitzschen Standpunkt, der nach meiner Erfahrung derjenige einer glänzenden Isoliertheit ist1).
1) Daß es eine Bankrotterklärung der Kunstwissenschaft bedeuten würde, wenn, wie ich behauptet habe, über einen so schwierigen Punkt wie die Zeichnungen
Außerdem glaube ich, daß er mich noch für skeptischer hält als ich bin, und daß ich in Wirklichkeit noch weiter von ihm entfernt stehe, als er meint.
Wie soll ich es sonst erklären, daß er Spalte 362 (unten) behauptet, ich habe nur eine Kodifizierung der sämtlichen mit mehr oder weniger Recht unter Rembrandts Namen gehenden Zeichnungen bieten wollen? Im Gegenteil habe ich, wie auf dem Titel meines Buches steht, den Versuch gemacht, einen kritischen Katalog der Rembrandtzeichnungen zu geben, d. h. der wirklich von Rembrandt herrührenden Zeichnungen. Ich habe also aus der Masse der dem Meister zugeschriebenen Zeichnungen von vorn herein alles ausgeschieden, was ich nicht für sein Werk hielt. Wo ich an der Echtheit zweifelte, habe ich dies ausdrücklich bemerkt. Wo eine solche Bemerkung fehlt, beanspruche ich, daß die betreffende Zeichnung als von mir beim Erscheinen des Buches als echt anerkannt betrachtet wird2).
Es ist also auch nicht richtig, »daß ich die Bezeichnung »zweifelhaft« oder dergleichen nur in den seltenen Fällen angewendet habe, wo dies kaum zu vermeiden war«. Ich habe sie angewandt, wo ich an der Echtheit zweifelte, voilä tout. Ganz erstaunt bin ich gewesen, bei Herrn v. Seidlitz (Sp. 363) zu lesen, ich sei »bei meinen Untersuchungen nicht in erster Linie vom künstlerischen Wesen Rembrandts ausgegangen, wie es sich aus dem Studium des gesicherten Gesamtwerkes an Gemälden, Radierungen und Zeichnungen ergibt«.
Ich glaubte bis jetzt mein ganzes Leben keine andere Methode angewandtv zu haben, sogar keine andere Methode zu kennen.
Ich habe immer versucht, das künstlerische Wesen, den Stil Rembrandts zu ergründen durch das Studium seines gesicherten Werkes und davon ausgehend, das nicht-gesicherte zu prüfen. Nun ist für mich ein gesichertes Werk in erster Linie ein derartiges, das auf Grund objektiver Kennzeichen dem Künstler sicher zugeschrieben werden kann. Als solche können gelten: eine echte Bezeichnung, eine urkundliche Beglaubi
Rembrandts ein vollkommener Consensus Eruditorum wohl nie erreicht werden würde, vermag ich nicht einzusehen. Es gibt andere ebenso schwierige Punkte, wie z. B. der Anteil der Brüder van Eyck am Qenter Altar, von Pieter Codde am Amsterdamer Schützenbild des Frans Hals, die Werke der drei Brüder Lenain und dergl. mehr, bei denen dies ebensowenig möglich scheint.
2) Ich habe das Material für das 1906 erschienene Buch zwischen den Jahren 1892 und 1901 gesammelt. Seitdem habe ich mehrere Sammlungen an der Hand desselben aufs neue durchgesehen und zu meiner großen Befriedigung konstatieren können, daß sich meine Ansichten nur in ganz wenigen Fällen geändert haben.
Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 43. 12. September 1913
Die Kunstclironik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark. Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11a. Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE KRITIK DER REMBRANDTZEICHNUNGEN
Ein angesehener Gelehrter, Herr W. v. Seidlitz, hat in der Nr. 26 dieser Zeitschrift vom 28. März 1913 einen Aufsatz veröffentlicht unter dem Titel: Die Rembrandtzeichnungen der Sammlung Heseltine und C. Hofstede de Groot.
Auf den ersten Teil des Titels: die Zeichnungen der Sammlung Heseltine werde ich im folgenden nicht weiter eingehen als nötig ist. Der Verfasser hatte die Absicht, die Sammler und Liebhaber vor der am 27. Mai stattgehabten Versteigerung von 32 Blättern aus dieser Sammlung darauf aufmerksam zu machen, daß ein großer Teil dieser Zeichnungen falsch, ein ebenso großer Teil zweifelhaft und nur ein verhältnismäßig geringer Teil unzweifelhaft echt seien. Der Zweck war lobenswert, wurde aber nicht erreicht, denn die Sammlerwelt bezahlte auch für die von Seidlitz angezweifelten Blätter bisher unerhörte Preise. Die 32 ZeichnungenTgingen ? für einen Gesamtbetrag von 330000 Gulden (inkl. io°/0 Aufgeld) in andere Hände über, also ein Durchschnitt von über 10000 Gulden pro Stück. Der Mahnruf war der einer vox clamantis in deserto!
Herr von Seidlitz vertritt in der Kritik der Rembrandtzeichnungen einen von der Mehrzahl der Forscher als derartig hyperkritisch angesehenen Standpunkt, daß es schwer, wenn nicht unmöglich sein dürfte, sich mit ihm zu verständigen. Er selbst sagt, daß er von den 47 Heseltineschen Zeichnungen, die im Lippmann- H.deG.’schen Werk veröffentlicht sind, 11 für falsch und 14 für zweifelhaft halte. Es bleiben daher nur 22 sicher echte übrig, während die Herausgeber doch alle 47 für echt gehalten haben, denn sonst würden sie sie nicht als »Rembrandtzeichnungen« publiziert haben.
Diese weitgehende Divergenz der Anschauungen ist der Grund gewesen, weshalb ich von der Seidlitzschen Kritik im Repertorium für Kunstwissenschaft bei der Ausarbeitung meines beschreibenden und kritischen Katalogs keinerlei Notiz genommen habe. Ich halte diese Kritik für unberechtigt und deshalb falsch, was Herrn von Seidlitz aus unserem jahrelangen Gedankenaustausch über diesen Gegenstand nicht unbekannt ist. Herr von Seidlitz glaubt aus diesem und anderen Gründen, daß mein Buch auf einem veralteten Standpunkt und ich mit meiner Ansicht über die Echtheit einer großen Zahl der Zeichnungen mehr oder weniger allein stehe. Ich meinerseits glaube dasselbe vom Seidlitzschen Standpunkt, der nach meiner Erfahrung derjenige einer glänzenden Isoliertheit ist1).
1) Daß es eine Bankrotterklärung der Kunstwissenschaft bedeuten würde, wenn, wie ich behauptet habe, über einen so schwierigen Punkt wie die Zeichnungen
Außerdem glaube ich, daß er mich noch für skeptischer hält als ich bin, und daß ich in Wirklichkeit noch weiter von ihm entfernt stehe, als er meint.
Wie soll ich es sonst erklären, daß er Spalte 362 (unten) behauptet, ich habe nur eine Kodifizierung der sämtlichen mit mehr oder weniger Recht unter Rembrandts Namen gehenden Zeichnungen bieten wollen? Im Gegenteil habe ich, wie auf dem Titel meines Buches steht, den Versuch gemacht, einen kritischen Katalog der Rembrandtzeichnungen zu geben, d. h. der wirklich von Rembrandt herrührenden Zeichnungen. Ich habe also aus der Masse der dem Meister zugeschriebenen Zeichnungen von vorn herein alles ausgeschieden, was ich nicht für sein Werk hielt. Wo ich an der Echtheit zweifelte, habe ich dies ausdrücklich bemerkt. Wo eine solche Bemerkung fehlt, beanspruche ich, daß die betreffende Zeichnung als von mir beim Erscheinen des Buches als echt anerkannt betrachtet wird2).
Es ist also auch nicht richtig, »daß ich die Bezeichnung »zweifelhaft« oder dergleichen nur in den seltenen Fällen angewendet habe, wo dies kaum zu vermeiden war«. Ich habe sie angewandt, wo ich an der Echtheit zweifelte, voilä tout. Ganz erstaunt bin ich gewesen, bei Herrn v. Seidlitz (Sp. 363) zu lesen, ich sei »bei meinen Untersuchungen nicht in erster Linie vom künstlerischen Wesen Rembrandts ausgegangen, wie es sich aus dem Studium des gesicherten Gesamtwerkes an Gemälden, Radierungen und Zeichnungen ergibt«.
Ich glaubte bis jetzt mein ganzes Leben keine andere Methode angewandtv zu haben, sogar keine andere Methode zu kennen.
Ich habe immer versucht, das künstlerische Wesen, den Stil Rembrandts zu ergründen durch das Studium seines gesicherten Werkes und davon ausgehend, das nicht-gesicherte zu prüfen. Nun ist für mich ein gesichertes Werk in erster Linie ein derartiges, das auf Grund objektiver Kennzeichen dem Künstler sicher zugeschrieben werden kann. Als solche können gelten: eine echte Bezeichnung, eine urkundliche Beglaubi
Rembrandts ein vollkommener Consensus Eruditorum wohl nie erreicht werden würde, vermag ich nicht einzusehen. Es gibt andere ebenso schwierige Punkte, wie z. B. der Anteil der Brüder van Eyck am Qenter Altar, von Pieter Codde am Amsterdamer Schützenbild des Frans Hals, die Werke der drei Brüder Lenain und dergl. mehr, bei denen dies ebensowenig möglich scheint.
2) Ich habe das Material für das 1906 erschienene Buch zwischen den Jahren 1892 und 1901 gesammelt. Seitdem habe ich mehrere Sammlungen an der Hand desselben aufs neue durchgesehen und zu meiner großen Befriedigung konstatieren können, daß sich meine Ansichten nur in ganz wenigen Fällen geändert haben.